Fliehganzleis
Hand.
»Wie haben Sie zu mir gefunden?«, fragte ich.
Simona Mannheim sah mich nur an. Sie hatte ihr Pulver verschossen.
Ich ließ sie in Ruhe. Ich würde es schon noch herausfinden.
46
Am Donnerstagmorgen warf Nero Keller einen kurzen Blick auf Keas Haus, bevor er seinen Volvo bestieg und ein paar Augenblicke abwartete, um die betäubende Denkschwere abzuschütteln. Im trüben Licht dieses Morgens wurde er einfach nicht richtig wach. Er brauchte dringend Ruhe, würde vielleicht am Wochenende ausschlafen können. Jetzt kostete ihn das Pendeln von München raus zu Kea am Abend und die umgekehrte Strecke am Morgen zu viel Zeit. Er hätte gar nicht nach München ziehen müssen vor guten acht Monaten, wenn er jetzt doch wieder hier draußen in der Pampa siedelte. Er hätte nicht einmal seinen Job in Fürstenfeldbruck aufgeben müssen. Wobei nicht geklärt war, ob Kea überhaupt mit ihm zusammenziehen wollte. Er musste sich bremsen. Im Überschwang seiner Gefühle für sie machte er Pläne, die nicht mit ihr abgesprochen waren.
Nero kalkulierte am liebsten voraus, wie die Dinge zu laufen hatten, und war verunsichert, wenn sich die einzelnen Arbeitsschritte nicht von vornherein abzeichneten. Was nicht zu planen war, machte Nero nervös. Daher hielt er gerne Unterricht. Den Kursverlauf konnte er selber festlegen. Selbst wenn die Kursteilnehmer ihn mit Fragen oder Diskussionen kurzfristig ausbremsten, behielt doch er als Seminarleiter die Kontrolle.
Heute würde er Woncka um Urlaub bitten. Freiflug hatte recht: Nero schuftete seit Monaten ohne einen einzigen freien Tag.
47
»Morgen, Kollege. Kaffee?« Markus Freiflug hob die Hand mit dem Kaffeebecher.
»Gern.«
»Einen Augenblick, Sir«, witzelte Freiflug, »ich bin sofort für Sie da.«
Zwei Minuten später dampfte der Kaffee auf Neros Schreibtisch.
»Wir haben eine neue Mail bekommen«, sagte Freiflug und warf einen Ausdruck auf Neros Tisch. »Gesendet gestern Abend um 22.30 Uhr. Inhaltlich nichts Neues. Absender nicht auszumachen.«
›Die Täter sind unter uns. Wie lange will das demokratische Deutschland noch den Opfern ins Gesicht spucken?‹, las Nero und fragte: »Hast du Woncka informiert?«
»Wir sollen ein Auge drauf haben, aber in Absprache mit den Kollegen von Abteilung IV sieht er keinen Handlungsbedarf.«
Nero verabscheute diesen Ausdruck. Handlungsbedarf sehen. Entweder man handelte oder man handelte nicht, das war seine Meinung. »Ich werde Urlaub einreichen«, sagte er. »Aber zuvor muss ich noch was recherchieren.« Er berichtete Freiflug, was Kea von Simona Mannheim erfahren hatte.
Sein Kollege hörte aufmerksam zu. »Du willst, dass wir nach diesen Finkenstedts suchen?«
» Ich mache das.«
»Willst du mich aushebeln?«
»Davon kann keine Rede sein!«, rief Nero erschrocken. »Aber in etwas Unsicheres reinziehen will ich dich auch nicht.«
Sie sahen einander an und fuhren in stillem Einvernehmen ihre Rechner hoch. Sie teilten sich die Arbeit.
Kurze Zeit später hatte Nero gefunden, was er suchte. Er nickte Freiflug zu und verließ das Gebäude. Er brauchte Bewegung, um seine Gedanken zu sortieren. Wenn seine Beine ausschritten, arbeiteten seine grauen Zellen im Takt der Bewegung, rhythmisch und klar. Langsam ging Nero die Mailinger Straße entlang und über die Nymphenburger Straße Richtung Stiglmaierplatz, wo rechter Hand, nicht weit von der U-Bahn-Station, eine Espressobar lag. An Orten wie diesen genoss er die Großstadt, den brandenden Verkehr, die Eile und Anonymität.
Als er das Lokal betrat, hatte er sich zurechtgelegt, was er der Würzburger Kollegin sagen würde. Nero bestellte einen Kaffee und rief Martha Gelbach an.
»Nicht zu fassen!«, antwortete sie nach Sekunden des Schweigens. »Auf Usedom, sagen Sie? 1968? Dann könnte Katja Mannheim die Katja sein, auf die sich Larissa Rothenstayns Bemerkung bezog?«
»Es sollte Ihnen reichen, um nach Alex Finkenstedt zu fahnden.«
»Wir kriegen den Burschen. Darauf verwette ich mein Frühstücksei.«
48
Zwei Stunden später warfen Nero und Markus Freiflug ihre Ergebnisse zusammen.
»Fang du an«, sagte Freiflug, der sich inzwischen an Neros Pedanterie beim Zusammenfassen von Fakten gewöhnt hatte.
»Simona Mannheim wurde 1936 in Leipzig geboren und lebte dort bis 1990. Dann zog sie für zehn Jahre nach Köln, bevor sie Anfang 2000 zurück nach Leipzig ging und vor drei Jahren nach Halle an der Saale umzog.« Nero räusperte sich. »Da ist nichts Auffallendes zu finden.
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