Fliehganzleis
Sie fährt einen kleinen Wagen, wohnt zur Miete. Tja. Was hast du rausgekriegt?«
»Vermutlich hatte ich den interessanteren Part«, grinste Freiflug. »Die persönlichen Daten der beiden Finkenstedts haben wir schon. Aber nun die neuen Punkte: Alexander Finkenstedt hat seine EC -Karte zum letzten Mal am 27. Juli dieses Jahres benutzt. Er besitzt keine Fahrerlaubnis, keinen eigenen Grund und Boden. Sein Konto bei der VR -Bank in Frankfurt-Sachsenhausen hat er seit besagtem Tag im Juli nicht mehr angerührt. Es gibt monatlich ein paar Abbuchungen über Lastschrift. Eine Gärtnerei in Leipzig zieht 40 Euro für Grabpflege ein. Außerdem hat er ein englischsprachiges Monatsmagazin abonniert. Er selbst hat im letzten Jahr immer nur kleine Beträge abgehoben. Mal 50, mal 100 Euro.«
»Keine Hinweise, wo er sich aufhalten könnte?«
»Nichts!«
»Das gibt’s nicht.«
»Doch, Nero, das gibt es.«
Nero stützte das Kinn in die Hände. »Er kann vergessen haben, sich an seinem neuen Wohnort anzumelden.«
»Märchenstunde!«, lästerte Freiflug.
Neros Puls beschleunigte sich. »Sein Vater? Was macht der?«
»Reinhard Finkenstedt lebt in Leipzig. Er hat die Stadt seit seiner Geburt nie verlassen. Ist Mitglied bei den Linken. Du weißt schon, die Partei von Gysi und dem beleidigten Typen aus dem Saarland.«
Nero lachte. »Hör auf! Politik hat in diesem Gemäuer nichts zu suchen. Sagt Woncka doch immer.«
»Er wäre stolz, wenn er hörte, dass du ihn zitierst«, entgegnete Freiflug ironisch. »Gegen Reinhard Finkenstedt laufen noch fast 20 Jahre nach der Wiedervereinigung eine Menge Klagen ehemaliger DDR -Bürger, denen er Unrecht getan hat. Außerdem steht er im Verdacht, die Millionenersparnisse der seinerzeitigen SED nach der Wende mit Tricks aller Art ins Ausland verfrachtet zu haben. Vermögensverschiebung eben. Mit Hilfe der KP d SU transferierte Finkenstedt Gelder nach Moskau, getarnt als Altschulden.«
»Hat er das alleine auf seine Kappe genommen?«
»Im Dezember 1989 konstituierte sich eine ›Arbeitsgruppe zum Schutz des Vermögens der SED - PDS ‹. So nannte sich die Partei damals. Finkenstedt konnte gute Dienste leisten, weil er viele Auslandskontakte hatte.«
»Auch westliche Parteien haben ihre Spendenskandale«, fiel Nero seinem Kollegen ins Wort. »Denk an Helmut Kohl.«
»Gegen die Machenschaften der SED - PDS nimmt sich die Spendenaffäre um Kohl, Schreiber und Schäuble geradezu wie ein Schülerstreich aus«, behauptete Freiflug. »Die Genossen haben ordentlich kriminelle Energie entwickelt. Im Namen einer Moskauer Firma verfasste Finkenstedt mehrere Mahnschreiben, in denen bei der PDS Altforderungen geltend gemacht wurden. In Höhe von mehr als 100 Millionen D-Mark. Ich wiederhole: D-Mark!«
»Nicht zu fassen!«
»Aber historisch belegt. Ich habe mit meinem Schwager telefoniert. Der ist Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der LMU . Seine Habilitationsschrift hat er über das Ende der DDR geschrieben. Er meint, es sei vollkommen unverständlich, warum die SED 1990 nicht verboten wurde. Wie die NSDAP nach 1945. Oder die KP d SU 1991 in Russland. Aber hör zu. Weitere zwölf Millionen D-Mark hatte die DDR angeblich für die Behandlung von Augenkrankheiten von Dritte-Welt-Studenten zu blechen. Die müssen alle halb blind nach Europa gekommen sein. 25 Millionen gingen drauf für ein ›Zentrum der internationalen Arbeiterbewegung‹.« Freiflug kniff die Augen zusammen, um seine Notizen lesen zu können. »Einige Transaktionen fielen auf, weil die SED die Geschäfte über Banken in Norwegen und Holland laufen ließ. Die schöpften Verdacht und sperrten die Konten, um die Genossen anschließend beim Bundeskriminalamt zu verpetzen. Einiges ist also aufgeflogen, aber mein Schwager sagt, in dem Stil sei noch viel mehr passiert, und wenn es nur allein um die Finanzen der Nachfolgepartei ginge, müsste man die Hälfte ihrer Helden in U -Haft setzen. Einige der allerhöchsten Funktionäre haben damals die Aussage verweigert. Darunter auch Leute, die heute im Bundestag sitzen. Einer der Herren, die mit Finkenstedt zusammen die Transaktionen nach Moskau einfädelten, starb 1993 bei einem Verkehrsunfall. Eine Stasi-Spezialität.«
»Aber … «, wandte Nero ein, doch Freiflug unterbrach ihn.
»Hör mal. Ich bin ein konservativer Knochen. Politisch, meine ich. Bayerisch-bodenständig, okay?« Er nahm die Nickelbrille ab. »Obwohl ich wie ein Roter aussehe.«
Nero lachte, doch Freiflug
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