Fliehganzleis
hin.
»Ein Gönner, dessen Namen ich nicht kannte, der aber ein Parteiabzeichen trug, eröffnete die Ausstellung. Währenddessen musterte ich Rosa. Sie war eine kleine, zarte Frau mit einem einfachen, fast bäuerlichen, runden Gesicht. Ich weiß nicht, ob ich zu dieser Vernissage ging, um sie zu sehen. Im Nachhinein denke ich fast, ich wollte ein Zusammentreffen mit ihr provozieren.«
»War Reinhard Finkenstedt auch anwesend?«
»Nein. Er hatte sicher Wichtigeres zu tun.« Simona lachte auf. »Noch während der kleinen Begrüßungsrede sah Rosa mich im Publikum stehen. Wir hielten uns an unseren Sektgläsern fest und starrten einander an. Sie erkannte mich sofort.«
»Fiel das nicht auf?«, fragte ich. »Wenn Sie sich gegenseitig begafften?«
»Allerdings. Aber Rosa war allerhand gewöhnt. Sie bekam sich schneller in den Griff als ich und tat ganz unbeteiligt.« Simona trank das Wasser aus. »Katja war zwölf Jahre tot. Sie wäre 1980 schon eine erwachsene Frau gewesen und ich vielleicht Oma. In der DDR waren wir früher dran als Sie heute.«
Ich zuckte zusammen. Mit fast 40 hatte man als kinderlose Frau seine Rechtfertigungstraumata.
»Später wurden Häppchen gereicht. Ich stellte mich mit einem Schinkenteilchen vor ein Aquarell, das die Thomaskirche zeigte, und kam so mit Rosa ins Gespräch.«
»Worüber unterhielten Sie sich?«
»Es war seltsam. Ich zitterte vor Aufregung. Rührte ein Gemisch aus Hass, Angst, Verzeihen an. Rosa war kaum ein Vorwurf zu machen. Sie stand komplett unter der Regentschaft ihres bekannten Mannes. Das verschaffte ihr auch Vorteile. Sie konnte ihren Neigungen nachgehen, ohne dass jemand ein großes Theater darum machte. Freiberufliche Künstler hatten in der DDR etwas Anrüchiges. Man witterte Dissidententum. Wobei Rosa kaum etwas Herausragendes geschaffen hat. Sie stellte nichts infrage, griff nichts an, schuf keine Gegenentwürfe, verhielt sich sehr brav und angepasst. Wie zu erwarten. Ein Jahr nach dieser Ausstellung gab Rosa ihre Lehrertätigkeit auf und widmete sich ganz dem Malen.«
»Sprachen Sie Rosa an? Oder war es umgekehrt?« Kleinigkeiten wie diese waren wichtig für Bücher.
»Sie fragte mich: ›Bevorzugen Sie Aquarelle? Oder Bleistiftskizzen?‹ Dabei wies sie mit dem kleinen Finger auf das Bild vor uns.«
Ich fuhr auf. Rosa, klar, Rosa! Die Skizzenbücher auf dem Speicher von Schloss Rothenstayn!
Kein Zufall, Kea, dachte ich und schrieb ›Dachboden‹ auf meinen Block. Verstohlen musterte ich Simona, die den Blick aus dem Fenster schweifen ließ. Draußen wirkte alles mit einem Mal herbstlich und grau. Der Sommer lief an diesem dritten September auf der Auslaufrille.
45
»Ich antwortete, dass ich klare Linien favorisierte. Rosa verstand sofort. Sie sagte: ›Ich weiß um Ihre Tochter. Ich habe sie gefunden. Nun haben wir beide ein Kind verloren.‹ Ich begriff zunächst nicht. Aber dann wurde mir klar, was sie mir sagen wollte: Ihr Sohn saß seit sieben Jahren im Gefängnis.« Simonas Blick verlor sich im Regen vor dem Fenster.
»Konnte Rosa nichts für ihn tun?«
»Seien Sie nicht naiv«, gab Simona heraus. »Natürlich konnte sie das nicht. Denn Reinhard Finkenstedt nutzte die Rache an seinem Sohn, um seine Position zu stärken. Ein Genosse, der seinen eigenen Sohn dem Regime auslieferte, im Kampf für Frieden und Sozialismus, dem konnte niemand mehr einen Stein in den Weg legen. Finkenstedt wollte ins Politbüro, und er plante seine Schritte sehr sorgfältig. Er besaß exzellente Kontakte zu Honecker. Wenn ihm die Wende nicht dazwischengekommen wäre, vielleicht wäre er irgendwann zum Oberschurken der DDR avanciert.«
»Das ist unglaublich grausam«, sagte ich.
»Was dachten Sie denn?«
»Kannten Sie Larissa Gräfin Rothenstayn?«
Simonas Gesicht wurde noch eine Spur fahler. Nun sah sie krank aus.
»Ja. Und nein. Alex hat mir von ihr erzählt. Sie war seine Geliebte. Nachdem Alex freikam, versuchte er, an die alten Geschichten anzuknüpfen, aber zwischen den beiden lief nicht mehr viel. Sie waren beide zu verändert.«
»Woher wissen Sie das?«
»Nun – von Alex.«
Ich glaubte kein Wort.
»Lassen Sie mich noch ein wenig mehr von mir erzählen. Dann beantworten sich manche Fragen von selbst«, bat Simona. »Nach der Wende ging es mir wie vielen Bürgern der DDR , die wie ich eine eher kritische Grundhaltung dem Regime gegenüber eingenommen hatten. Wir konnten kaum fassen, was da geschah. Im März 1990 freie Volkskammerwahlen, dann im Herbst
Weitere Kostenlose Bücher