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Fliehganzleis

Fliehganzleis

Titel: Fliehganzleis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederike Schmöe
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Ende.
    Nero glaubte, er könnte das alles hier wieder verlassen. Hatte voller Vorahnungen nur ein einziges Bild aufgehängt. Eine Ansicht von Orvieto, mit dem Dom im Vordergrund. Die alte Sehnsucht nach Italien.
    Wie stark sind Gefühle.
    Wie lange hält eine Beziehung.
    Wie wichtig ist eine Frau.
    Nero war niemand, der alleine glücklich werden könnte. Für Kea galt das wohl nicht.
    Nero hätte gerne Juliane um Rat gefragt. Eigentlich verstand er nur jene Seiten an Kea, die ihre klarsichtige Freundin ihm analysiert hatte. Ohne Julianes Unterstützung wäre er jetzt immer noch der Träumer, der an Kea dachte, ohne sie zu berühren.
    Er packte eine CD in seine Tasche. Tangos aus Finnland. Nero liebte Tangomusik. Im Tango-Kurs hatte er Leonor kennengelernt. Zum ersten Mal konnte er lächeln, wenn er daran dachte, wie der Tanzlehrer ausgerechnet ihn und Leonor zusammengebracht hatte. Ja, lächeln. Wehmütig zwar, doch die Bitterkeit schwand.
    Jetzt war da Kea. Ein ganz anderer Typ als Leonor. Oder doch nicht? Auch Leonor hatte das Haar lang getragen, aber es war kastanienbraun und lockig, nicht schwarz und glatt. Er fühlte Keas schlanke, muskulöse Hände auf seinem Körper. Wie Leonor besaß Kea die Begabung, Angedeutetes, im leeren Raum Schwingendes zu benennen. Und wie Leonor wusste sie nichts von diesem Talent.
    Ob er Kea überreden könnte, einen Tangokurs zu belegen?
    Ob sie mit ihm in Urlaub fahren würde?
    Er wusste, dass sie sich für Kunst interessierte. Wie er. Sollte er einfach eine Reise buchen – für sie beide? In die Provence, um auf den Spuren von Matisse und Cocteau zu wandeln?
    Auf seinem Couchtisch lag ein Bändchen mit Haikus, das er für Kea gekauft hatte. Er zögerte noch, es ihr zu schenken. Schwankte zwischen der Angst, ihr etwas Banales mitzubringen, das sie schon kannte, und der Sehnsucht, ihr zu zeigen, dass er sich für ihre Interessen starkmachen wollte. Er ließ das Buch liegen.
    Nero stellte den Kühlschrank ab, in dem nichts zu finden war außer zwei Flaschen Bier und einer Tüte Milch. Abgelaufen seit über einer Woche. Er warf die Milchtüte in den Müllsack, in dem Kaffeesatz und Apfelbutzen schimmelten, nahm Tasche und Sack auf und ging hinaus. Schloss seine Tür ab. Stieg die Treppe hinunter und stopfte den Müllsack in die Tonne.
    Direkt vor seiner Haustür hielt die Tram. Er sprang hinein, löste ein Ticket am Automaten und setzte sich ganz nach hinten. Er wollte in Ruhe telefonieren.
    Sein Kollege im LKA in Schwerin verstand sofort, was Nero von ihm wollte. Manche Ermittler hatten den sechsten Sinn. Nero hatte sich sehr genau überlegt, wen er ansprechen würde. Er hatte Ralph Dönges überprüft.
    »Wenn Sie kommen wollen«, sagte Dönges, »dann kommen Sie morgen. Ich fahre nach Hause. Meine Frau und ich wohnen in Wolgast, auf der Insel Usedom. Unter der Woche bin ich in Schwerin. Am Samstag hat meine Frau 60. Geburtstag. Das heißt, morgen Abend bin ich auf der Insel und hätte Zeit.«
    »Gut«, bestätigte Nero und dachte: Wieder einer, der im Zug wohnt oder auf der Straße. Er sprang an der nächstbesten Haltestelle aus der Tram, überquerte die Gleise und fuhr mit der nächsten 27er zurück.

50
    »Danke«, sagte Nero später zu Freiflug. Sie verabschiedeten sich vor dem Haupteingang, als die Nacht schon undurchdringlich geworden war und der Regen frenetisch auf die Straße prasselte.
    »Passt schon«, entgegnete Freiflug. »Sag mal, wie hat diese Simona Mannheim eigentlich zu Frau Laverde gefunden?«
    »Das frage ich mich auch schon die ganze Zeit.« Nero zog die Brauen zusammen.
    »Was hat Woncka gesagt?«
    »Ab morgen habe ich sieben Tage frei.«
    »Na, das ist doch was«, kommentierte Freiflug und stülpte die Kapuze seines Sweatshirts über den Pferdeschwanz. »Erhol dich gut. Und pass auf deine Freundin auf.« Er winkte und joggte durch den Regen davon.

51
    Manche Dinge bekamen schnell und unerwartet ein neues Gesicht.
    Es war kurz nach halb neun am Freitagabend. Wir hielten vor einer kleinen Villa in einer schmalen Seitenstraße des Ostseeheilbades Bansin. ›Ferienwohnung frei‹ stand auf einem Schild, das sorgsam an einen Pfahl genagelt worden war; dieser wiederum steckte im Rasen direkt neben dem Gartentor. Ich hatte die Unterkunft auf Neros Anweisung im Internet gebucht. Soweit war es also schon, dass ich auf Anweisung handelte!
    Hinter uns lagen 900 Kilometer und zehn Stunden Autofahrt vom Süden Bayerns in den äußersten Nordosten Deutschlands. Hier oben

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