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Fliehkräfte (German Edition)

Fliehkräfte (German Edition)

Titel: Fliehkräfte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Thome
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säumen die Straße, sie scheinen in einen Ferienort gekommen zu sein, aber zu dieser Tageszeit dauert es eine Weile, bis sie den ersten Fußgänger erblicken. Ein alter Mann mit Baskenmütze und Gehstock, der überrascht stehen bleibt, als Hartmut neben ihm an den Rand fährt. Marijke steckt den Kopf aus dem Fenster, grüßt höflich und erkundigt sich nach einer Werkstatt. Ihr Spanisch ist ziemlich flüssig. Der Mann grüßt zurück und wirft einen prüfenden Blick ins Wageninnere, bevor er schwungvoll die Straße hinabdeutet. Seine Antwort fällt lang aus und erfordert viele erklärende Gesten. Marijke nickt und bedankt sich mehrmals, nachdem er geendet hat.
    »Wir haben Glück«, sagt sie und dirigiert Hartmut an einer Tankstelle vorbei, hinein in eine scharf von der Hauptstraße abzweigende Gasse. Die Werkstatt, die sie nach wenigen Minuten erreichen, ist auf den ersten Blick als solche zu erkennen. Ein längliches Schild mit zwei zum Piktogramm komprimierten Autos ziert die Stirnseite des Hauses. Es ist das letzte in der Straße, direkt dahinter verläuft der Fluss, an dessen gegenüberliegendem Ufer es steil bergauf geht.
    Ein Schäferhund kommt bellend aus dem offenen Garagentor geschossen, als Hartmut den Wagen abstellt. Zum Glück ist er angekettet. Ihm folgt ein muskulöser junger Mann im blauen Overall, der beruhigend die Flanken des Tieres tätschelt, bevor er seinen Blick auf die beiden Ankömmlinge richtet.
    »Hola. Buenos días«, sagt Marijke im Aussteigen.
    Froh über seine sprachkundige Begleiterin hält Hartmut sich abseits, lauscht ihrer Imitation des Knalls und nickt bestätigend, wenn die dunklen Augen des Mechanikers sich auf ihn richten. Ein vollbärtiger Typ mit einem Gesichtsausdruck, als wäre er gerade aus dem Mittagsschlaf erwacht. In einiger Entfernung zeichnet sich das Relief der Stadt ab. Rote Dächer gleißen unterder hochstehenden Sonne. Dicke weiße Wolken schweben wie Zeppeline über dem Ort. Marijke befragt ihr Telefon und liest vom Display ein spanisches Wort ab, das vermutlich Keilriemen bedeutet. Der Mechaniker antwortet einsilbig.
    »Ich glaube, du sollst mal die Haube öffnen«, sagt sie.
    Hartmut tut, wie ihm geheißen, der Mann beugt sich kurz über den Motorblock und sagt »sí«.
    »Der Keilriemen?« Im Innern der Werkstatt sind zwei Hebebühnen und das übliche Ensemble von Werkzeugen und technischen Geräten zu sehen. Ein kleines Transistorradio baumelt an einer Kordel und versorgt den Raum mit Musik. »Kann er’s reparieren?«
    »Er will nachschauen. Ich glaube, er ist nicht der Chef hier.«
    Der Mechaniker verschwindet nach drinnen, von wo in regelmäßigen Abständen ein hydraulisches Zischen zu hören ist. Marijke schließt Freundschaft mit dem Hund, und Hartmut schaut ihr eine Weile zu, bevor er die schmale Einfahrt hinunter zum Fluss geht. Das diesseitige Ufer ist befestigt, ein Fußweg führt in den Ort hinein. Auf der anderen Seite halten Bäume ihre Äste ins Wasser, als wollten sie die Temperatur prüfen. Hartmut setzt sich auf eine steinerne Bank und denkt, dass es gut war, sich Philippa gegenüber nicht auf einen Ankunftstag festgelegt zu haben. Die Sonne scheint angenehm warm auf sein Gesicht, und die unvorhergesehene Pause stört ihn kaum, beinahe kommt sie ihm gelegen. Es ist ein schöner Tag geworden. Oben in der Einfahrt hört er Marijke Spanisch sprechen, dem Tonfall nach mit dem Hund. Nach ein paar Minuten leistet sie ihm auf seiner Bank Gesellschaft.
    »Ein Guter«, sagt sie und wischt sich die Hände an den Hosenbeinen ab.
    »Tut mir leid, dass wir jetzt hier festsitzen. Ich hätte früher eine Werkstatt aufsuchen sollen.«
    »Hier oder anderswo. Für mich spielt es keine Rolle.« Sie steht auf, beugt sich übers Wasser und taucht beide Hände hinein. »Der Name Potes kommt mir bekannt vor. Jemand hat mirvon einem verrückten Heiligen erzählt, den es hier im Mittelalter gab.«
    »Warst du viel in Spanien unterwegs?« Hartmut legt eine Hand über die Augen und folgt einem in der Ferne aufsteigenden Berghang bis hinauf zum weißen Gipfelkreuz. Wenn sie damals bei der Kirche Halt gemacht haben, müssen sie durch diesen Ort gekommen sein, aber seine Erinnerung bleibt bruchstückhaft. Den Namen Potes findet er darin nicht.
    »Ich war viel unterwegs. Ein paar Mal auch in Spanien, allerdings nie in dieser Gegend.«
    »Dein Freund war nicht sauer gerade?«
    »Du hast eine witzige Art, Fragen zu stellen. Als würdest du das Thema eigentlich lieber

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