Fließendes Land (German Edition)
sie wußte es, sie wußte es schon), an den Betonsockel schlugen. Man konnte vielleicht nicht sagen, daß Seepferdchen lächelten, aber sie hatten ein freundliches Aussehen.
Unterhalb des Seepferdchenkopfes kam schon der Seepferdchenbauch, und der ging in einer schönen Linie in einen Schwanz über. Mit gestreiften, transparent flimmernden Flossen am Rücken und Flossen am Bauch wedelten sie so im Wasser, daß sie schwebend schwammen. Dann drehten sie sich aufrecht in ihren Seepferdchenkreisen hinauf gegen das Licht oder hinunter in den dunkleren Schutz des Kelpwaldes. Oder zur Seite. Wollte ein Seepferdchen jedoch verweilen, legte es seinen Schwanz einfach um einen Algenstengel, zum Beispiel, und hielt sich fest. Und wogend wie eine Koralle, wie eine Seeanemone, hing dann das Seepferdchen, das kein Pferdchen war, aber ein Fisch, wie eine Blüte an einem leise fließenden Grün.
Seepferdchen waren schön. Es gab sie in allen Farben, und sie konnten wechselnd in allen Farben spielen. Gerne hätte sie alle Tage mit Seepferdchen gelebt. Aber das Seepferdchen war schlecht in Gefangenschaft zu halten. Hinter Glas änderte es sofort sein edles Paarungsverhalten. Denn das Seepferdchen war von Natur aus treu. Ein Seepferdchenmann und eine Seepferdchenfrau blieben ein Leben lang zusammen. Vielleicht wußten Seepferdchenforscher noch gar nicht ganz genau, wie lange so ein Seepferdchenleben in Freiheit war, aber fünf, sechs Jahre bestimmt. In den menschlichen Aquarien aber verwilderten sie. Hier paarten sie sich flüchtig und beliebig, als habe sie ihr Seepferdcheninstinkt verlassen. Auch ihre Farben blaßten aus. Ihr Korallenrot, ihr Algengrün, ihre schwarzweißen Zebrastreifen, ihr Bernsteingelb, ihre Punkt- oder Fleckenmuster wurden unspezifisch und verloren sich.
So würde sie also, wenn es soweit wäre, nur als Seepferdchenforscherin mit der Anmut dieser Wesen leben können. Aber bestimmt hätte sie dann eine der hochempfindlichen Unterwasserkameras, und eine Lampe wäre an ihrer Stirn befestigt, so daß ihr auch in großen Tiefen Aufnahmen gelängen. Sie würde Bilder hinaufbringen von miteinander an den Schwanzspitzen untergehakten Seepferdchenpaaren, die zu zweit durch Anemonenwälder schwammen, und dann würde sie – natürlich vorsichtig, ohne zu stören – geduckt in den Schwammgärten oder hinter den Jalousien der viele Meter hohen, breitlappigen Braunalgen dabeisein, wenn sich auf einmal ein Seepferdchenweibchen zielsicher an ihr Seepferdchenmännchen drängte und dann sehr schnell seine Eier in den geöffneten Brutbeutel des Seepferdchenmannes hineinlegte. Denn in seinem Bauch, der nun anschwoll, würden die Eier befruchtet werden, und hier würden die Kleinen, vom Vater gebrütet, heranwachsen zu winzigen Seepferdchen von perfekter Gestalt: mit zitternden Krönchen und den langen Rüsseln, den geschwungenen kleinen Bäuchen und den anfangs noch langgestreckten, zackigen Schwänzen, die erst die schon größeren Seepferdchen zu einer geschlossenen Schnecke rollen konnten. Und sie würde photographieren, wie nach einigen Wochen ein erster kleiner Seepferdchenkopf sich aus dem Brutbeutel des Mannes herausstreckte und dann, gefolgt von vielen und nochmals vielen Seepferdchenbrüdern und -schwestern, ein ganzer junger Seepferdchenschwung ins Meer entlassen wurde. Und da so ein neugeborenes Seepferdchen, wie ein Menschenkind ja auch, vor allem aus zwei großen Augen besteht (die das Seepferdchen aber unabhängig voneinander in die verschiedenen Richtungen bewegen kann), war eine Wolke von frischgeschlüpften Seepferdchen submariner Sternenstaub, eine blinkende und blitzende Galaxie.
Sie sah auf die Uhr. Ein wenig Zeit hatte sie noch. Man hatte ihr deutlich gemacht, daß es einen Vertrauensbeweis darstellte, wenn sie nun wieder alleine die Mittagsstunde frei in der Anlage verbringen durfte. Ihre Fersen schlugen leise an den Beton.
Ein Kind würde sie nun wohl nicht mehr haben, dachte sie dann. Und deshalb war es sehr schade, daß Seepferdchen das Aquarium nicht recht vertrugen. Denn sie hatte gelesen, Seepferdchen zeigten Zutraulichkeit. Seepferdchenaquaristen hatten beschrieben, wenn sie an die Scheibe träten, würde so ein Seepferdchen gerne mit seinem Nahekommen antworten. Steckte dann der Aquarist seine geöffnete Hand ins Wasser, so konnte es sein, daß sich das Seepferdchen mit dem Schwanz in einer Art Klammergriff an einen seiner Finger hängte. Und mit dem Rüssel suchend würde es das gestreute
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