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Fließendes Land (German Edition)

Fließendes Land (German Edition)

Titel: Fließendes Land (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angelika Overath
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zerknülltes Papier oder ein Taschentuch. Es war nicht genau zu erkennen. Ein Blau schimmerte um die Rückenlehne, dahinter eine gekalkte Wand, grünlich, eine blaue Tür, die ebenfalls grünlich war. Ein helleres, kaltes Gelb auf der unteren Stuhlleiste, auch auf der oberen Lehnenkante ein harter gelber Strich. Nirgends ein mildes Holzgelb oder Braun, wie zu erwarten gewesen wäre. Der Raum, in dem der Stuhl stand, als könne er ihn ausfüllen, blieb nur grob angedeutet. Im Hintergrund sah man angeschnitten eine Holzkiste mit weiß Gott welchem Gekrümel. Blumentrog? Es hätte genauso gut ein schlicht zusammengezimmerter Sarg sein können. »Vincent« stand darauf, in schwarzen Lettern, wie gedruckt. Er zeichnete, dachte ich, mit seinem Vornamen, mit dem ihn Eltern, Freunde gerufen haben mochten. Und nicht das Bild, sondern einen Gegenstand, den er gemalt hat. Vielleicht zeichnete er auch nur, daß er den Stuhl gesehen hat. Als Zeuge sozusagen. Der was bezeugte? Jedenfalls signierte er diese komische Kiste im Hintergrund. Und die Buchstaben zerfielen zu kleinen Emblemen, als seien es Brandzeichen im Holz.
    Die Legende neben dem Bild sagte, daß das zerknüllte Papier oder Taschentuch neben der Pfeife Tabak sei und der Sarg eine Kiste mit einer Zwiebel. Eine keimende Zwiebel wohl. Auch gut. Und mir völlig egal.
    Er muß den Stuhl gemalt haben, der direkt neben ihm stand. Er hat gerade die Pfeife dorthin abgelegt, das Päckchen mit Tabak und dann den Pinsel genommen. Der Blick kommt von oben. Wenn das Bild etwas tiefer hinge, könnte einer meinen, er könne sich setzen. Aber dieser Stuhl war schon besetzt. Und diesen Raum konnte niemand betreten. Es gibt Bilder, die einladen, die Arkadengänge öffnen, Galerien, Spiegelfluchten für den willigen Gang der Vorstellung. Aber hier stimmte schon die Perspektive nicht. Die Fluchtpunkte täuschten, die Linien verfehlten sich. Selbst die einfachen Kachelfugen verliefen nicht parallel. Und das starke Kreuz im Flechtwerk war um ein weniges versetzt zu den möglichen Raumdiagonalen, nur um ein weniges, aber genau diese kleine Abweichung gab dem Bild eine Drehung und nahm den Betrachter mit in den Schwindel.
    Jeden Augenblick konnten die Kacheln aufbrechen. Die roten Kacheln mit ihren grünen Fugenschatten. Sie antworteten auf die Farben der Zwiebel. Und dann war es die Leinwand, die hier selbst mitmalte, als sei sie nicht nur Malgrund, sondern lebendiger Boden, auf dem etwas Wirkliches wuchs, wirklich wie eine austreibende Frucht.
    Der Strom der Besucher umfloß mich wie ein Hindernis. Manchmal bildeten sich Menschenstrudel an meinem Starren und lösten sich wieder auf. Wenn die fremden Köpfe nah waren, hörte ich das Rauschen der Audioführer. Der Stuhl hingegen war still.
    Man sah es ganz genau. Immer wieder kam die sackige Leinwand durch. An der Türangel, oben links über der Zwiebelkiste, unter dem grünen Blau des Wandverputzes. Auch an der Tür zeigte sich der grobe Grund, dessen Rot von den pastosen Kacheln her unter allem aufzusteigen schien. Die Materialität der Leinwand ersetzte die Palettenfarbe, als käme es gerade hier auf einen kreatürlichen Boden an, als suche die Sehnsucht sich einen Trost im groben Acker, der fetten Erde, in einer Arbeit, die nicht nur artistischen Ursprungs war.
    Seltsame Töne. Cadmiumgelb vermutlich, Manganblau, Siena gebrannt, die Grüns daraus gemischt.
    Und dann immer wieder nur wässrig hingetuscht ein Hauch von Ultramarin, der das Gelb des Holzes noch kälter machte und ihm eine flimmernde Ferne gab, ganz nah vor dem Auge.
    Eine Pfeife gehört in ein Gesicht. Und dieser Stuhl war ein Gesicht. Ein Statthalter für einen, der heute keinen anderen Ausdruck für sich fand als diesen gerade noch vertrauten Stuhl. Aber selbst der gewitterte schon, gemahnte an Schwefel in seinem unversöhnlichen Gelb. Er schrie vor Licht. Er stand in einer Zimmerecke auf dem Ackerboden der Provence, die bebte.
    Aber der Maler hat seinen Namen, seinen Rufnamen, auf die Zwiebelkiste gesetzt, als könne er alles noch einmal besänftigen. Als sei er ein Müller, der seine Insignien auf seine Mehlsäcke druckt, als sei sein Tun noch in der archaischen Ordnung: Vincent. (Es war ein Selbstbildnis. Das war sicher.)
    Ein elektrischer Gong kündigte die Schließung an. Uniformierte Frauen gingen schon herum und sammelten die Audioführer ein. Es fiel mir schwer, mich umzudrehen. Dann hatte sich das Licht in meinem Rücken geändert.
    Unten im Museumsshop kaufte ich

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