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Fließendes Land (German Edition)

Fließendes Land (German Edition)

Titel: Fließendes Land (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angelika Overath
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eine Postkarte.
    Zwischen den Säulen floß die helle Londoner Nacht dahin. Ich legte die Postkarte auf eine Pfütze, wo sie im Sprühregen langsam zu glänzen begann.

Gischt und Lagune
    Die Mutter ist ein brauner Fisch. Wenn sie auf dem Bauch im Wasser liegt, tauchen ihre Fersen auf wie rosa Perlen. Ihr Mund ist eine Mondsichel über dem Wasser, ihr Kinn ist verschwunden. Sie reißt die mandelrunden Augen auf. Schwarzes Haar klebt ihr in Algensträngen am Hals, bis es von den Schultern wegschwimmt. Das nackte Kind vor ihr tapst im Wasser. Der Vater sitzt daneben und hält es am Arm. Mit der anderen Hand schöpft er Wasser und läßt es über die kleinen Schultern rinnen, den gewölbten Bauch, dann wieder über den Kopf, die Arme. Der Vater formt es noch einmal mit dem Meer. Alle Kinder sind schaumgeboren. Das Kind lacht und windet sich. Revanui haben die Eltern es getauft, Revanui heißt »die große Zeit«. Die Mutter schiebt sich im Unterarm-Krebsgang um ein weniges weiter in die Wellen zurück und sieht den beiden zu, die nun ein Seeungeheuer mit zwei Köpfen machen. Bis die Kleine hochkrabbelt und auf dem Vater zu springen beginnt. Revanui ist sieben Monate, das ist ein Alter, in dem europäische Kinder gutverpackt und angeschnallt in ihren Wippen hängen und kaum sitzen können. Revanui ist oft am Meer. Ihr Vater arbeitet bei der Gemeinde von Papeete, aber abends, wenn die Sonne milder ist, fährt die Familie an den Strand. »La mer est bon pour les enfants«, sagt der Vater, und im Klang ist »la mer« nicht unterscheidbar »la mère«, was dasselbe ist in der Lagune, wo die Mutter, ein schnappender glänzender Fisch, bäuchlings mit rosa Fersenperlen spielt.
    Abends kommen die Fische an Land. Parallel zur Lagune, dem korallenen Zwillingsstreifen des Strandes, umrundet ein zweites, von Menschen gebautes Riff aus Stein, Sand und Teer die Insel, an dem sich der innere grüne Ozean von vulkanischen Wäldern in tropischen Gärten bricht. Die breite Straße von Tahiti ist die Verkehrsrinne der Zivilisation, an ihre Ränder schmiegen sich Wohnsiedlungen, Einkaufszentren, Schulen, Tempel und Werften, deren Dichte mit der Nähe zur Hauptstadt Papeete zunimmt. Tahitis Straße ist Markt. An den Stangen der offenen Lieferwagen hängt aufgefädelt die Meeresbeute des Tages, Fischzöpfe wie aus fetten Blüten: rosa, flachsfarben, grün, blau, korallenrot, metallic, grau. Während die Fischer im Schatten beieinander dösen, läuten ihre Frauen die Schiffsglocken, um Käufer anzulocken, und wedeln mit gefalteten Zeitungen gegen die Fliegen.
    Es ist die Zeit, da die Trucks pausenlos fahren. Die abblätternden Lieferwagen mit den langen, hölzernen Sitzbänken sammeln ein, was um Papeete herum noch unterwegs ist. Bald werden sich die Spektakel der barocken Sonnenuntergänge entzünden und die Farben vor dem Scherenschnitt der Schwesterinsel Moorea noch einmal wehmütig aufjubeln, bevor die Nacht pünktlich wie ein Theatervorhang fällt.
    »Il est interdit de boire et de fumer.« Schulter an Schulter schaukeln die Fahrgäste im Rollen des Dieselmotors und kümmern sich nicht um das handgemalte Schild neben dem offenen Einstieg. Abends werden auch Verbote müde. Zwei Schüler, die Kollegmappen auf dem Plankenboden, zupfen geschnittenen Tabak aus indigoblauen Bisonpäckchen und blasen den Rauch mit zugekniffenen Augen und schrägem Kopf aus den heruntergelassenen Schiebefenstern. Ein alter Gärtner kippt eine Hinano-Bierdose; ein Tattoo läuft über die rechte Hälfte seines Gesichts, den schweißglänzenden Brustkorb hinunter bis in die Fingerspitzen. Im Fahrtwind mischen sich die süßen Abgase mit einem bitteren Wind vom Meer. Ein dunkelhäutiges Mädchen ist auf dem Schoß seines Opas eingeschlafen, der ihre nackten Füße in der Hand hält, als hüte er kleine Tiere. Die Großmutter dämmert unter ihrem frisch dekorierten Strohhut für Sekunden ein, um schreckhaft immer wieder hochzufahren. Der überladene Truck hält und nimmt zwei Rucksacktouristen auf. Auch die mittlere Bank, auf der man in Fahrtrichtung rittlings sitzt, ist voll. Aber dann hebt einer sein Bündel Ananas auf den Schoß und ein anderer die Plastiktüte voller Mangos, man ruckelt und rutscht, und der asiatische Rucksacktourist paßt noch hinein. Wer hier sitzt, spürt nun den Hintern des Vordersitzers zwischen den Knien oder Schenkeln und die Knie oder Schenkel des Hintersitzers am eigenen Gesäß. Doch es wäre unfreundlich, jemanden zurückzuweisen, der

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