Fließendes Land (German Edition)
mitfahren wollte. Und zum Stehen ist der Seegang auf der Straße von Tahiti zu hoch, in diesen rasanten, ungefederten Trucks, die nur einen, immer offenen Eingang haben, aber keine Tür. »Le bateau, le bateau«, ruft das Mädchen, das aufgewacht ist, und zeigt hinaus auf ein erleuchtetes Schiff, das wie die Überblendung eines Hochhauses über dem Wasser schwebt. Der Fahrer schaltet krachend und gibt Gas. Hinter der Scheibe strahlt sein geflochtener Hut, von dem die Palmzweigstacheln wild abstehen wie der Fetisch eines Gegenzaubers.
Nachts ist das Meer ein Schild aus schwarzem Metall mit einer weißglühenden Leuchtspur draußen, wo der Ozean gegen das Riff schlägt. Es wird nicht kühl. Die Zehen bohren sich in den sonnenwarmen Strand, eine spröde Substanz aus vulkanischem Sand, zerriebenem Kalk, Muschelscherben, kleinen Korallenzweigen.
Gérard-Moana setzt sich. Er ist 31 Jahre alt. Er erzählt: Sie nennen mich Moana, den Ozean. Als ich geboren wurde, warf mein Vater die Nabelschnur ins Meer. Bei uns bedeutet das, der Junge wird Fischer. Wenn du die Nabelschnur in die Erde vergräbst, wird er Bauer. Aber mein Vater wußte, ich würde Fischer werden, das war ganz klar. Und ich bin Fischer geworden, ein richtiger Fischer. Ich fische nicht in der Lagune, ich fische draußen, in den Wellen. Ich tauche mit der Harpune, nein, nicht mit Sauerstofflaschen, das habe ich noch nie getan. Ich gehe so runter. Wir machen das alle so. Schwimmen lernen wir, wenn der Ball ins Wasser rollt, wir laufen hinterher und holen ihn wieder raus. Mit fünf Jahren hat mich mein Vater in die Lagune mitgenommen. Er ist nach Muscheln getaucht. Erst gehst du zwei Meter runter, dann drei, schließlich zehn Meter. Mit fünfzehn Jahren habe ich angefangen, hinter dem Riff zu fischen. Heute tauche ich 25 bis 30 Meter; ich bleibe zweieinhalb Minuten unter Wasser. Das ist nicht besonders viel. Ich habe Gefährten, die machen vier Minuten, und es gibt hier einen, der taucht sieben Minuten. Das macht er mit einer speziellen Atemtechnik. Er hyperventiliert, bevor er runtergeht. Früher hatten wir nur Holzharpunen. Das war viel schwieriger, denn das Holz saugt sich voll und dann ist sie nicht mehr präzis. Und es wird zu schwer. Du mußt dir vorstellen: Du bist in den Wellen, du siehst den Fisch vor dir, du zielst, aber die Welle schlägt dir die Harpune um. Heute haben wir Fiberglasharpunen, Schußweite zwei Meter und mehr. Die sind leicht und verziehen sich nicht. Und wir haben Pfeile aus dem besten Stahl der Welt. Sie kommen aus Johannesburg.
Ich kenne die Fische. Sie sind wie wir. Sie sind neugierig. Es gibt welche, da mußt du eine Wolke machen, so ein bißchen Sand aufwerfen, dann kommen sie und wollen sehen, was los ist. Bei anderen mußt du auf den Boden klopfen, tock, tock, bei wieder anderen mußt du mit einer Koralle kratzen, und dann gibt es welche, da mußt du grunzen, ja, na eben so wie ein Schwein. Aber bei manchen mußt du vor allem die Augen zumachen, du darfst sie nie mit geöffneten Augen anschwimmen. Wenn sie deine Augen sehen, sind sie weg. Und wenn du zielst, mußt du ganz sicher sein, daß du triffst. In die Schläfe. Wenn du nur am Bauch triffst, zieht dich der Fisch mit, ich meine, so ein Thunfisch, vielleicht von 40, 50 Kilo, der zieht dich mit, die Maske rutscht dir ab, du läßt die Harpune los. Und das war es dann. Außerdem mußt du auf die Rochen aufpassen. Sie greifen an. Ich habe auch eine Harpune dabei nur zur Verteidigung.
Ich bin Moana, der Ozean. Früher habe ich nur vom Fischen gelebt. Aber die Riffe hier sind schon ziemlich leer, weil sie alle nachts fischen. Mit Lampen, wenn die Fische schlafen. Jetzt habe ich eine Arbeit bei einer Perlenfarm auf den Gambiers angenommen, nicht wegen der Arbeit, sondern damit ich rauskomme auf ein Atoll, damit ich wieder richtig fischen kann. Ich mache meinen Job, klar, aber die Zeit vorher und nachher gehört mir. Bah, du kannst es dir nicht vorstellen, da gibt es Tausende von Fischen, Tausende, alles ist schwarz, schwarz von Schwärmen. Ich muß jetzt gehen, morgen fliege ich zu den Tubuai, auf die Australes, dort gibt es einen großen Wettkampf. Da treffen sich die besten Fischer aus ganz Polynesien.
Moana steht auf und grüßt. In seinen Kniekehlen glänzt das Mondlicht, bis er hinter einer Kokospalme verschwunden ist.
Es gibt die Vögel des ersten Lichts. Sie schreien dem pazifischen Morgen entgegen, lauter als die Brandung vor dem Riff und lauter als der in der
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