Fließendes Land (German Edition)
Tehara, 41, und Hinarii, 32, hocken mit stolzen Rücken zwischen Steinen und Korallen und schauen aufs Meer. Sie tragen ihre Brüste wie Schultern, der Goldschmuck liegt auf ihrer nackten Haut wie auf exquisitem Stoff. Ab der Hüfte umspült sie das Meer. Griffbereit liegen die Fläschchen mit Sonnenmilch, eines fürs Gesicht, ein anderes für das Dekolleté. Sie salben sich. Und auch ich solle mir etwas nehmen, die Sonne sei gefährlich hier. Sie nicken aufmunternd. Dann hält Tehara wieder die Angel ins Wasser. »Les poissons sont fatigués«, seufzt sie. Wir rauchen und trinken Volvic-Mineralwasser. Tehara ist aufgestanden. Ein am Slip eingehängtes Tuch klebt an ihren Oberschenkeln, mit ihm kann sie sich über das Gesicht wischen. Wirft sie den Stoff nach hinten über die Schulter, ist er eine Bluse. Sie schaut nach ihren Hunden. Aber Max, der braunschwarze Rottweiler, Brunelle, der weiße Yorkshire, und Lady, der zitronengelbe Zwergpudel, hocken auf den Felsen, ernst wie Seelöwen.
Tehara und Hinarii haben Zeit. Ihre Männer sind Franzosen und unterwegs. Der eine arbeitet als Computerspezialist in Papeete, der andere als Industriemanager auf Neuseeland. Teharas Kinder sind schon groß, die von Hinarii sind in der Schule. »Ah, ça fait du beau!« Tehara begießt sich mit der Hand, dann holt sie die zappelnde Angel ein und zieht einen blau-rot-grün gestreiften Fisch vom Haken. Der Perroquet kommt in die Plastiktasche zu den anderen noch zuckenden Exemplaren. Hinarii zündet sich die nächste Zigarette an. Das Wasser ist von saphirner Bläue, die Korallen bilden ein verwischtes Pastell aus Ocker, Aubergine und Lachs. Max schnüffelt das Terrain ab, Brunelle paddelt eine Runde und Lady putzt sich. »Ja, es ist gut hier«, bestätigt Tehara mein andächtiges Lob des Ortes, »und es gibt keinen Rassismus. Die Tahitianer und die Franzosen und die Chinesen und die Amerikaner, sie heiraten alle durcheinander. Deshalb gibt es keinen Rassismus hier. Und das ist gut.« Hinarii lacht. Sie zieht ein weißes Lacoste-Turnhemd über ihren perfekten Oberkörper und setzt eine grüne Baseballmütze auf. Mit zwei Handgriffen ist aus der Südsee-Vahina ein westliches Model geworden, das sich aufmacht zu den Boulevards der Stadt. »Viens!« ruft Tehara und zerreißt ein rosa Stück Rindfleisch zwischen den Fingern. Eigentlich war es für die Fische gedacht, aber sie hat genug gefangen und offeriert den Rest nun den treuen Hunden.
Das Ufer kennt Hütten und Paläste. Auf Tahiti sind alle Strände öffentlich. Aber nur wo sie unverbaut sind, gehört das flache Meer selbstverständlich allen. Dann wird das eben schwankende Türkis leicht zum Küchentisch, auf dem eine große blaue Kühlbox schwimmt.
Zwei dicke Frauen mit zwei nackten Kindern hocken im Wasser und putzen rote Fische. Das Meer hebt die Kühlbox, hebt die Kinder, die Mütter greifen nach den Kindern, nach den Fischen. Mit einer Gabel kratzen sie über die Fische, tauchen sie ins Wasser, um die gelösten Schuppen wegzuspülen. Die Kinder plantschen um die Truhe, tauchen prustend ab und werden in einem Handgriff mit Gabel und Fisch wieder hochgezogen. Manchmal schwappt Wasser in die schwimmende Box.
Die beiden Frauen sind Mutter Cosette, 37, und ihre hochschwangere Tochter Harrie, mit 17 das zweitälteste ihrer fünf Kinder. Die beiden Kinder sind Patamo, der einjährige Jüngste von Cosette, und der um zwei Monate ältere Saramona, Harries erster Knabe. Kind und Enkelkind oder Onkel und Neffe werfen Steine in die Kühlbox, dann schwanken sie weiter. Während Cosette emsig putzt, strahlt Harrie mit weitem Blick über ihren Bauch hinweg ins Meer. Sie beugt sich über die Box und fingert aus einem Glas eine tropfende Substanz. »Willst du auch?« fragt sie herzlich und präsentiert ein lappiges Grau, das sie auf ihrer Handfläche sternförmig auseinanderzieht. »Roher Seeigel«. Das Ding schmeckt süß und salzig und süß.
»Ici les jeunes filles devient mère très jeunes?« frage ich unnötigerweise. – »Souvent à la mer«, antwortet Mutter Cosette souverän, und Harrie lacht. Cosette hat sich Onkel und Neffen um die Hüfte geklemmt und kreuzt mit ihnen durchs Wasser, um sie sandfrei zu bekommen. Harrie hängt an der schwimmenden Kühlbox mit den Fischen und paddelt ein wenig in die Tiefe hinaus.
Heller Sand wechselt mit runden vulkanischen Steinen, mit dunklem Sand, mit Korallenschotter. Manchmal ist ein Fluß zu durchwaten. Familien haben Tische ans Wasser
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