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Fließendes Land (German Edition)

Fließendes Land (German Edition)

Titel: Fließendes Land (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angelika Overath
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Dämmerung anrollende Straßenverkehr. Dann ist der Tag da, hell wie eines Messers Schneide. Er entzündet das tropische Grün, indem er es auslöscht: in Glanz. In der Früh gehören die Trucks den Schülern, die aus Tüten krümelnd essen, den Müttern, die die Kleinsten begleiten, aneinandergeschmiegt Nase an Kinn, Haar in Haar, und dem einen oder anderen Fischer, der den Fang der Nacht schon am Strand verkauft hat und nun nach Hause fährt. Unter ihren Quicksilver-Wollmützen wachen drei schlaksige Knaben auf. Auch ohne ihre Bretter sind sie als Surfer zu erkennen.
    Die Nacht ist von allen abgeflossen wie das Meer. In einer lasziven Entspannung sitzen sie nebeneinander, Modulationen der Ethnien einer südpazifischen Insel, über die Asien und Europa gekommen sind. An den polynesischen Körpern ist nichts, das nicht rund wäre. Noch die nackten Füße in den Plastiksandalen stehen nach innen gerichtet, als wollten sie einen Kreis schließen. Und ein Ellenbogen ist eine braune Kuppe der Sanftmut. Ein Schuß chinesisches Blut und die Backenknochen treten zurück, das Kinn wird spitzer, die Gliedmaßen verlieren das Muskulöse. Das Französische streckt die Gestalt, läßt die Haut heller sein. Und dann wirft ein Botticelli-Engel seinen Sturz blonder Locken zurück und antwortet dem Gauguin-Lachen der Freundin, beide beißen in ihr Baguette und kauen und haben keine Ahnung, wie schön sie sind.
    Draußen ist die Straße nun fünfspurig und der Truck pflügt sich durch den beginnenden Stau. Zeitungsjungen springen und schlängeln die Wagen entlang und verkaufen die frische »Depèche de Tahiti«, die der Fahrer über dem Lenkrad schon lange liest.
    Pablo hat keinen Truck genommen, um ins Lyceum in Papeete zu fahren, wo er sein fachspezifisches Bac macht für angehende Architekten. Offiziell ist Pablo heute krank, genaugenommen aber spürt er den Sog der Wellen. Pablo merkt das schon morgens im ganzen Körper. Und wenn das so ist, dann nimmt er sein Board und steigt in den Bus Nr. 7, der die Westküste abfährt. In Papara gibt er dem Fahrer ein Zeichen. Papara ist in Ordnung. Natürlich, Teahupoo eine gute Stunde weiter, da, wo die Küstenstraße von Tahiti aufhört, Teahupoo im Mai ist etwas anderes, aber jetzt ist dort gar nichts los. Und in Papara, wo der Pazifik am Passe de Faarearea, durch kein Riff gebrochen, direkt hereinkommt, sind die Wellen noch gut. Pablo kommt von den Marquises, in Tahiti geht er auf die Schule. Aber Surfen hat er auf Hawaii gelernt. Sein Brett fällt auf: Es ist länger als die Bretter, die die Jugendlichen hier haben, vorne nicht spitz, sondern abgerundet und aus Holz. Aus hellem und dunklem, mit Bootslack überzogenem Holz. Es ist schwerer als ein Kunststoffbrett, doch Pablos Schritt federt. Jetzt hat er den schwarzen Sand erreicht. Hunde mit salzverklebtem Fell kreuzen die anthrazitfarbene Fläche und hinterlassen samtfeuchte Pfotenabdrücke zwischen den hellblauen Prielen. Pablo zieht ein Stück Paraffin aus der Shortstasche und reibt die Standfläche ein, damit er nicht ausrutscht. Dann geht er zum Wasser. Im Laufen hat er den Wellengang inspiziert. Er hat einen Blick für die Serien, er weiß, wo sich Seitentäler schräg zu den Hauptwellen bilden. Er wirft sich mit dem Bauch auf das Brett und krault mit den Armen los. In wenigen Zügen ist er draußen, da, wo die Wellen sich meterhoch aufwerfen, bevor sie in einem gewaltigen Bogen niederbrechen. Jetzt ist Pablo nicht mehr zu unterscheiden von den anderen Surfern, die wie Flöhe im Blau zu springen scheinen. Nur manchmal verrät ihn sein T-Shirt als einen winzigen roten Punkt.
    Auf Tahiti ist der Übergang vom Land zum Wasser nicht erheblich. Wenn die Luft 28 Grad hat, liegt die Wassertemperatur vielleicht zwei Grad darunter. Meer und Luft scheinen nur verschiedene Aggregatzustände derselben Substanz. Auch die Kleidung wird amphibisch. Die Plastiksandalen, die alle tragen, sind gut auf dem heißen Pflaster Papeetes und unverzichtbar am heißeren Strand, und niemand schwimmt ohne sie über die Lagune, der weiß, was eine Korallenbank ist. Hemden, Hosen, Tücher sind meertauglich. Der leichte Stoff trocknet so schnell wie das Haar. Soll er trocknen? Man döst, den Kopf auf dem Sand in die Unterarme gelegt, den Körper umspült im dämmernden Bewußtsein, daß wir schwimmend erst wir selbst geworden sind.
    Sie hätten sich in einem Cafe verabreden können. Aber als Tahitianerinnen bleibt ihnen die Lagune als freundliche Alternative.

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