Fließendes Land (German Edition)
sie habe in der Stadt Mohnkuchen gegessen, und jetzt wolle sie gerne Wein trinken. Sie müssen wissen, was Ihrem Magen guttut, sagte der Vamp und ging langsam mit der Gehhilfe weiter.
Die Gehhilfe, dachte sie, heißt hier Rollator. Und statt Füttern sagen sie: Essen anreichen.
Im Dunkel des Ganges erkannte sie die Tänzerin, die neben ihrem Rollstuhl stand und hinaus in den Garten sah.
6.
Frühstück. Die Geigerin kaute munter an ihrem Müsli und sagte, sie fahre gleich mit dem Auto in ein Hallenbad in der Nähe der Stadt. Es liege auf einer Wiese. Im Sommer, sagte sie, schwimme sie im See. Was macht das Aquarium? fragte sie. Lesen Sie mir einmal etwas vor?
Mittagessen. Eintopf mit Kartoffeln, Gelberüben, grünen Bohnen, weißen Bohnen, Wurst. »Einmal durch den Garten«, sagte rechts der Vamp. »Einmal durch die Woche«, sagte links die Handarbeitstante. Das Rasseln der Rasselnden erfüllte den Raum. Sie werde morgen abgeholt, sagte die Handarbeitstante, von den Söhnen, nach Hamburg auf das Grab ihrer Eltern. Ihre Söhne seien Polizisten. Ihre Tochter Redakteurin. Sie sprach das Wort Redakteurin wie Resurrectio. Sie sprach sehr laut, auch stolz, und auch, als müsse sie begründen, warum sie den ganzen Sonntag fort sein werde und nicht zur Messe komme. Das Lauern. Wer ist am Sonntag allein, wer wird besucht, wer wird abgeholt? Wer hat gute, wer hat böse Kinder? Wer hat keine Kinder? Zum Nachtisch Quarkspeise mit einer makellosen Himbeere.
Mariensee, sagte die Geigerin. Sollen wir nach Kloster Mariensee fahren?
Sie brachen heimlich auf. (Wegen der Eifersüchteleien, wegen des Neids? Weil die eine noch ein Fluchtauto hatte, die andere nur eine Zehnerkarte für die öffentlichen Verkehrsmittel und die dritte im Rollstuhl saß?)
Eine Klosteranlage wie ein Schloß. Stallungen, Gärten. Im Klostershop verkaufte eine Frau aus der Gemeinde Karten. Die Geigerin erklärte, daß sie hier Konventualin sei und nun in Marienwerder wohne. Sie bitte um den Schlüssel ihrer ehemaligen Wohnung. Die sei jetzt doch leer. Sie wolle sie der Schriftstellerin zeigen. Die Dame von der Gemeinde sagte irritiert, das dürfe sie nicht. Sie dürfen, sagte die Geigerin.
Die Räume waren weiß, staubig und leer. An einer der Wände hing noch ein Bild ihres Sohnes bei Proben mit Tangerine Dreams. Eigentlich sollte ich es mitnehmen, sagte die Geigerin und ließ es hängen.
In der Kirche sagte die Geigerin: Sehen Sie das Antependium? Sie zeigte zum Altar. Das ist noch von mir! Und hier habe ich gesessen. Da ist mein Kissen, sehen Sie, mit dem Monogramm, und die Rückenlehne ist auch von mir. Jede Konventualin hatte einen eigenen gestickten Sitzplatz. Sie habe vier Plätze gestickt. Sie zeigte auf die drei im Kreis springenden Hasen mit den drei Ohren. Ein Hasenrad.
Sie führte durch die Ausstellung über den Wandel des Klosterlebens. Das ist doch interessant für Sie, sagte sie. Sie erzählte, Elisabeth von Calenberg habe 15jährig einen um 40 Jahre älteren Mann geheiratet. Für Schwierigkeiten bei der Schwangerschaft habe Elisabeth von Calenberg dann die langjährige Mätresse ihres Gatten verantwortlich gemacht und ihn aufgefordert, diese Frau als Hexe verbrennen zu lassen. Die Mätresse entkam, aber zwei Freundinnen verbrannten als vermeintliche Helferinnen auf dem Scheiterhaufen. Elisabeth von Calenberg wurde von einem gesunden Jungen entbunden. Später habe sie Luther Wein und Käse geschickt, er wiederum sandte ihr Maulbeerbaum- und Feigensetzlinge und eine Bibelübersetzung mit Namenszug von seiner Hand.
Als sie gehen wollte, sahen sie beim Kartenverkauf eine Dame mit langen weißen Haaren, langem Wollkleid,Wolljacke, dickem Tuch. Die Geigerin umarmte sie. Gemeinsam gingen sie in die Wohnung der Malerin. Salon, Atelier, riesige Küche. Sie schien eine der letzten Konventualinnen zu sein, die hier noch lebte.
Abendessen. Aufschnitt, Brot, warmer Fencheltee. Die Äbtissin hatte sich abgemeldet. Der Vamp sprach das Gebet. Die meisten Frauen aßen abends auf ihrem Zimmer.
Sie wollte nur die ersten Veilchen pflücken, sagte die kleine Baltin. Dann sei sie ausgerutscht. Rippen gebrochen. Jetzt sei sie hier. Seit einer Woche. Weil sie 90 sei, weil die Nichten das besser fänden.
Sie sah sie an, griff nach einer Scheibe Schwarzbrot und belegte sie mit rosa Wurst. Sie schreiben also? Sie biß kräftig ab. Also das sei ja nicht ihre Sache, da reite sie doch lieber. Ach, was sie doch alles geritten sei! Und mit der Kutsche! Horri, der
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