Fließendes Land (German Edition)
Isländer, sagte sie, Sörli, der Norweger.
Aber Pippin habe sie mitgebracht, Pippin der Kleine, Vater von Karl dem Großen, sie habe das im Konversationslexikon nachgelesen. Der Kater habe noch Stubenarrest, damit er nicht fortläuft. Sei kastriert, mit einem schönen dicken Bauch, einem Hängebauch ein bißchen. Er bekomme Katzenfutter und fresse gerne Butter.
Butter, sagt die Rasselnde, früher wurde die Butter mit zwei Hölzchen zu Kügelchen gerollt, dann ins Wasser gelegt und zu einem schönen Berg von weißen Kügelchen aufgeschichtet. Und einmal habe die Großmutter gesagt: »Kinder, ihr habt die Butter noch nicht gedeckt.« Aber da hatte der Dackel sie gefressen.
Wenn Pippin so die Pfoten übereinanderlegt, sagte die kleine Baltin, haben die Leute, mit denen sie früher zusammen gewesen sei, immer gesagt: Ruhig, jetzt betet er!
Samstagabendandacht im Wohnzimmer. Sie sang neben der Geigerin, die anstimmte. Lieder in Großdruck. Alle sangen mit. Auch die Schwerhörigen. Sie hören nicht, was die anderen singen, sie hören auch nicht, was sie selbst singen, sagte die Geigerin, deshalb singen sie so laut.
Sie singen vom Blatt? fragte die Geigerin. Nein, ich habe mich an Sie angehängt. Die Geigerin lächelte und legte ihr für einen Moment die Hand auf die Schulter.
7.
Sie brachte ihr das Apple-Notebook. Sie ließ sie auf der Tastatur tippen. Wie das E-Mail-Programm funktioniert, konnte sie ihr nicht zeigen, da sie nicht ins Netz kam. Über Photobooth machten sie eine Aufnahme. Da sie beide auf den Bildschirm und nicht in die kleine Kamera schauten, zeigte das Bild nur ihre Augenpaare dicht nebeneinander. Die Geigerin holte Photographien: sie in der Tracht der Konventualinnen, schwarze Haube, Kleid, Spitzenschleier, weiße Handschuhe. Bilder von Mariensee im Schnee, im Sommer. Ihr Garten. Immer wieder ihr Enkel. Sie will mir zeigen, daß sie einmal glücklich war, dachte sie. Auf den Bildern erschienen immer wieder einige der jetzigen Bewohner von Marienwerder. Manche von ihnen mußten sich seit Jahrzehnten kennen. Altersfamilienbande.
8.
Sie traf ihre Tochter in der Stadt. Sie gingen in ein Persisches Restaurant mit einem freien Netz. Die Tochter trug einen kurzen Rock. Mein Mädchen, dachte sie. Unglaublich, einen Menschen zu begleiten von ganz klein bis zum Erwachsenwerden. Wenn man sich Kinder wünscht, weiß man nicht, was das heißt. (Dieses Nichtwissen schien ihr die erste Voraussetzung von Glück. Und wir wissen auch nicht, wie es sein wird, wirklich alt zu sein. Langsame Abschiede, im besten Fall langsame Abschiede vom Ich. Wann aber hatte das Ich begonnen? Wir fließen uns davon.)
9.
Hier, sagte sie, und hielt eine Orange in der Hand. Sie sah die kleine leuchtende Orange in der großen blassen Hand. Beim Frühstück stehe doch immer ein Teller mit Obst. Und sie hätte sich noch nie etwas mitgenommen, da wolle sie ihr doch heute die Orange bringen. Sie sagte: Ich wohne dort hinten im Gang. Ob sie nicht einmal auf ein Glas Wein vorbeikommen wolle?
Sonntag. In der Küche arbeitete die Äbtissin mit hellblauer Schürze. Sonntags, sagte sie, gebe es meist Auflauf, das sei gut vorzubereiten. Sonntags war das Küchenpersonal reduziert.
Wenn wir, sagte der Pfarrer, ein besonders gutes Waschmittel entdeckt haben, dann sagen wir das auch der Nachbarin weiter. So sollten wir auch unseren Glauben weitersagen, wie etwas, mit dem wir gute Erfahrungen gemacht hatten.
Gott als Meister Proper, dachte sie. Die Geigerin sagte, sie gehe sonntags in eine Kirche in der Stadt.
(Wenn überhaupt, wäre Gott nur als schwach zu denken.)
Nach der Messe sah sie zwei Konventualinnen in ihren bodenlangen, schwarzen Capes Arm in Arm durch den alten weißen Klostergang davongehen.
Sie traf die Tochter im Zoo der Stadt. Sie gingen ins Aquarium. Sie standen am Rochenbecken. Später brachte sie ihr Kind an den Zug. Es war fast Mitternacht. Bald, dachte sie, ist sie es, die mich zum Zug begleitet, wenn wir uns abends trennen. Bald kippt das, wer für wen sorgt. Sie nahm die S-Bahn 4 bis Wissenschaftspark, dort wartete sie auf den Bus Richtung Garbsen. Sie fuhr bis zur Haltestelle »Stadtgrenze«. Selbst die Tankstelle war schon zu.
10.
Beim Frühstück war für sie nicht gedeckt. Eine Frau aus der Küche sagte, sie hätte sich gestern nicht nur mündlich, sondern auch schriftlich vom Mittag- und Abendessen abmelden müssen. Ich bin wieder da, sagte sie also.
Die Dame, die am Frühstückstisch immer abwesend schaute,
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