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Fließendes Land (German Edition)

Fließendes Land (German Edition)

Titel: Fließendes Land (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angelika Overath
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Fischstückchen kam zum zweiten Mal.
    Ein gleichmäßiges Rasseln erfüllte den Raum. Sie versuchte, nicht in die Richtung des Geräuschs zu sehen.
    Die Frauen trugen Wolle, rosa, blau, Pullover, mädchenhaft sportlich mit weißen Haaren. Sie nehmen sich alle zusammen, dachte sie. Sie sah auf ihr Serviettentäschchen. Sie sah auf das Serviettentäschchen der Frau rechts neben ihr. Ob sie es selbst gestickt habe. Ja, sie sei eine »Handarbeitstante«, sagte sie. Sie habe auch ein Buch über die Klosterstickerei geschrieben. Über die Flußperlenstickerei. Sie könne das noch.
    Sie hatte sie gesehen, dachte sie, heute morgen. Unter einem Sturzhelm hatte sie ihr Rollwägelchen durch den Garten geschoben, zu einem Fahrrad. Dann war sie umgestiegen und davongefahren.
    Sie versuchte, das Rasseln nicht wahrzunehmen. Dann nickte die Rasselnde ihr von schräg gegenüber zu. Eine Schüssel mit dunklen Früchten ging von Hand zu Hand.
    Eine dornenlose Brombeere ist eine dornenlose Brombeere und keine Jostabeere, sagte der Vamp. Ja, es gäbe die Kreuzung von schwarzer Johannisbeere und Brombeere. Aber das sei eben keine dornenlose Brombeere. Beeren aus dem Klostergarten. Damit es nicht Matsch wird, muß man die Beeren einzeln einfrieren, sagte der Vamp, auf einem Blech, ohne Zucker. Dann bleiben sie trocken. Ein Krug mit Vanillesauce.
    Die Losung, eine Lesung, ein Gebet. Ein Amen. Das schmutzige Besteck in metallene Becher, die schmutzigen Teller zu Stapeln auf einen Rollwagen. Die Krüge in die Durchreiche, die Serviettentäschchen, die Schüsseln und Platten mit Essensresten auch.
    5.
    Die Konventualin, 74 Jahre, in Jeans und Turnschuhen, die für die Wäsche zuständig war und den Computer im Büro beherrschte, durfte ihr das Kennwort für das Klosternetz nicht sagen. Aus Gründen der Sicherheit.
    Sie lief zur Bushaltestelle, fuhr zur Straßenbahnhaltestelle, dann in die Stadt. Sie fragte nach einem Internet-Café. Eine junge Russin verhandelte mit dem Mann hinter der Theke. Der Preis könne nicht stimmen. Ihre Stimme laut, auch verführerisch. Als könne das Timbre den Preis drücken, wo es dem Argument nicht gelang.
    Kommunikationsnetze. Rituale der Nähe im Fremden. Früher das Verbindende der lateinischen Messe. Nun die Religion, überall kommunizieren zu können. Was hatte man sich dauernd zu sagen? Aber in den Messen war doch auch alles schon gesagt. Das blindbekannte Wort war Vollzug der Gemeinschaft, nicht Information. Ich bin Dein, erlöse mich. Wir haben hier keine katholischen Frauen, hatte die Äbtissin gesagt. Wir können diese Bedürfnisse nicht befriedigen.
    In der Stadt überall Armut. Es war das Schrille, das die Armut zeigte. Die zu hohen Schuhe, der zu glänzende Schmuck, die zu stark gegelten Haare. Viele Bäckereien. Bleche: Schlesischer Butterstreuselkuchen, Mohnkuchen. Das Tröstliche der frischen Süße. Das Versöhnungsangebot von gelungenem Hefeteig. Die Kommunion im Kaufhaus. Alles wird gut.
    Im Kaufhausrestaurant oben, wo die Toiletten waren, alte Frauen, junge Mütter, Arbeitslose. Der Blick eines Mannes. (Angst vor diesen Blicken. Nur eine kleine Drehung, nur ein Blick zurück, und man wäre verantwortlich.) Der Luxus, hier Essengehen zu können. Zumindest hier zu sitzen. Wer hier saß, gehörte noch dazu. Er gehörte noch zu denen, die es schafften. Glaubten sie.
    In der Küche von Marienwerder gab es keinen Korkenzieher. Sie drehte sich um im Raum aus Resopal und machte alle Schubladen auf und wieder zu. Auf dem Flur zufällig die Geigerin. Ja, sie habe einen. Sie solle mit zu ihr kommen. Sie betrat ein zeitloses Zimmer. Ein Hauch Antroposophie, ein Hauch Bauhaus. Schöne Stickereien. Den Klosterstich habe sie in Mariensee gelernt, sagte sie. In Mariensee habe sie 200 qm bewohnt, auf zwei Stockwerken, mit Garten. Ich habe dort Konzerte gegeben, Führungen gemacht, sagte sie. Zeigen Sie mir Ihren Apple? Mein Sohn will mir einen Computer schenken. Wir könnten uns dann immer schreiben.
    Im Gang der Vamp. Warum sie beim Abendessen gefehlt habe. (Gefehlt, dachte sie, ich habe gefehlt.) Es wäre schön, wenn sie sich abmelden würde. Die Äbtissin, sagte sie schnell, habe gesagt, man müsse sich nur vom Mittagessen abmelden. Ja, ja, sagte der Vamp, kein Beinbruch. Es wäre auch schön, wenn man zum Mittagessen pünktlich da sei. (Ich war pünktlich, dachte sie, aber eben pünktlich um 12 Uhr, da saßen aber schon alle. Morgen also 5 vor 12.) Der Vamp sah auf den Korkenzieher.
    Mohnkuchen, sagte sie,

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