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Fließendes Land (German Edition)

Fließendes Land (German Edition)

Titel: Fließendes Land (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angelika Overath
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Christus verglichen worden. Wie die Perle, in Fleisch, Muschel und Feuchtigkeit geboren, ein lichtdurchlässiges Gebilde voller Pneuma war, so war auch der fleischgewordene Gott-Logos geistiges Licht und Körper von durchscheinender Materialität. Die Handarbeitstante lächelte.
    Die Leine, dachte sie, floß durch den Hinüberschen Garten. Todmuschelführende Fließgewässer.
    Die Geigerin sagte: Sie fragen mich nach der Stimmung im Haus. Das kann ich alles nicht an mich heranlassen.
    Sie fühle sich aber wohl, sagte sie, sie habe ein sehr gutes Verhältnis zu den verschiedenen Pflegerinnen, Köchinnen, dem Jungvolk im Haus eben. Sie schwieg. Sie sagte: Sie können sich das vielleicht nicht vorstellen, wie das ist, wenn man 85 ist.
    Die Pflegebedürftigen sah man nicht. Die Äbtissin führte sie in keines dieser Zimmer. Wen die Götter lieben. Vielleicht liebte der Christengott anders oder grad ein bißchen zu wenig.
    Mir würden die alten Menschen fehlen, sagte die Konventualin mit dem schmalen Mund.
    20.
    Sie saß im Zimmer der Geigerin. Sie blinzelte gegen das blendende Grün im Fenster.
    Später war es dunkel geworden. Das Grün wurde eins mit dem Dämmern des Zimmers.
    Es ist nicht das Erlebnis, sagte sie. Es ist nur das Erinnern, aus dem das Erzählen entsteht. Das Erinnern täuscht und dreht sich. Es ist ein Hasenrad. Drei Hasen mit drei Ohren.
    Die Geigerin schwieg im Gegenlicht.
    Schreiben destabilisiert, sagte sie. Jedes Erzählen, das zum Ende kommt, ist ein Leben, das man verläßt. Jetzt, sagte sie, gehört das Erzählte noch zu mir. Wir leben zusammen, wir antworten einander, wir verändern uns miteinander. Aber es wird immer weniger, die Geschichte schließt sich ab. Nur im Fluß des Erzählens, in seinen Wirbeln, seinen Strömungen, lebe ich noch mit dem Text, sagte sie.
    Sie haben zu Ende geschrieben, sagte die Geigerin.
    21.
    Mit dem Fluchtauto zur S-Bahn. Sie gab ihr die Hand, die jahrelang eine Geige gehalten hatte.
    Kommen Sie mich in den Bergen besuchen! antwortete sie, kommen Sie im Juni, wenn die Wiesen bunt sind!
    Sie sah weg und ging.

Das Buch gehört dem König!
    Vom Erinnern und Schreiben oder wie ein Roman entsteht und der Autor einen seiner Katzentode stirbt
    Der rechte Zeigefinger klickt auf »Senden«, und der Computer braucht zwei, drei Sekunden für die Datenmenge. Der schmale blaue Balken wird länger. Und verschwindet. So ist das also, denke ich und wundere mich. Es ist ein seltsames Gefühl. Ein Anflug von Abschied (warum nicht Erleichterung?), ein bißchen Eifersucht (um Himmels Willen, auf was!).
    Es war nicht mein erster Roman. Es war der zweite. Aber mein Debüt »Nahe Tage« ist, wie viele Debüts, eine Familiengeschichte: Blicke zurück in die Kindheit, die zwar komponiert, doch eng an die Biographie gebunden bleiben, geschrieben »nach der Natur«. Auch der zweite Roman hatte als Initiation eine Erinnerung. Aber sie betraf nur einen Augenblick. Als ich »Flughafenfische« zu schreiben begann, war es gut zehn Jahre her, daß ich auf dem Weg von Hongkong nach Stuttgart, müde und zwischen die Zeitzonen gefallen, ein paar Stunden im Transit des Londoner Flughafens Heathrow überbrücken mußte. In der hohen Flughafenhalle stand ich auf einmal vor einem Meerwasseraquarium. Es war, so erinnerte ich mich, ein phantastischer Raumteiler, voller tropischer Fische und Blumentiere. Als ich überlegte, ob ich einen zweiten Roman versuchen sollte, fiel mir diese in sich bewegte Wasserwand im Flughafen ein. Warum, wußte ich nicht. Ich wußte, »Nahe Tage« ist vom Raum aus geschrieben, von der alltagsgesättigten Enge einer Drei-Zimmer-Wohnung, in der eine gerade verstorbene Mutter gewohnt hat. Der heimliche Held des Textes ist dieser geladene Raum, der den Geist eines zwanghaften Familienlebens noch bewahrt (die Küche mit der Wachstuchtischdecke, das Schlafzimmer mit dem Wäschepuff und dem INRI über den geknickten Kopfkissen, die Alpenveilchen auf der Fensterbank). Warum, dachte ich, sollte ich nicht wieder von einem Raum aus beginnen?
    Kunst, zitiert Terézia Mora den ungarischen Schriftsteller und Maler Lajos Kassák, Kunst habe kein Ziel, sondern einen Grund. Also hatte es vielleicht einen Grund, wenn mir jetzt das Aquarium im Flughafen einfiel. Für einen Roman war dieses Realsubstrat erst einmal herzlich wenig, im Vergleich zu einer Kindheit. Aber schreibend machte ich mich auf die Suche nach einer Geschichte, die vielleicht im Korallenbruch lag. Zunächst brauchte ich

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