Fließendes Land (German Edition)
sagte eine Biologin am Rochenbecken, »denn das Herz ist ein reiner Muskel«). Ich begleitete vier Tage den für das Riffaquarium zuständigen Tierpfleger im Münchner Tierpark Hellabrunn und führte Interviews mit der Zoo-Aquaristin in der Stuttgarter Wilhelma. Ich konstruierte. Die Größe mußte plausibel sein, der Besatz an Fischen. War es möglich, eine Muräne und Seepferdchen im selben Becken zu halten? Ich las aquaristische Fachliteratur. Es war eine schöne Zeit.
Es war eine Zeit des Größenwahns. In den Fluchten des Flughafens, im hohen Aquarium entstand eine rhythmisierte Welt aus Fischen und Fiktionen. Ich wendete meine Figuren wie Strümpfe. Und änderte, bis Innen Außen war, bis das Muster im Doppelgewebe stimmte. Bis als Sternzeichen stand, was ich nur erfand. Auch mein Text war ein Aquarium, ein künstlicher Raum, der lebte. Und wie ein Aquarist beobachtete ich Wörter, gab ihnen den Sauerstoff der Ideen und das Futter klanglicher Korrespondenz.
Bald verglich ich jedes Aquarium, das ich sah, mit meinem Aquarium im Text; wenn ich auf einen Flughafen kam, prüfte ich ihn, ob er stimmte. Ich nahm es mit der Wirklichkeit auf, als wäre mein Text ihr Maß. Aber dann nahm es der Text mit mir auf. Denn kaum merklich schloß er sich ab. Die Figuren begannen, sich zu wehren. Sie hatten ein Eigenleben bekommen und wollten nicht mehr gestört werden. Offensichtlich war der Roman nun zu Ende.
Es blieb noch, in dieser Welt die gröbsten sachlichen Fehler zu vermeiden, so gut es ging. Ich ließ einen alten Photographen-Freund lesen und bat den Lufthansakapitän um Lektüre, und dann schrieb ich dem Kurator des Basler Zoos, dessen Aquariumanlage eine der schönsten in Europa ist. Er antwortete, Zeit habe er nicht, aber das sei doch einmal etwas anderes. Ich schickte ihm ein Manuskript, in dem alle Fischpassagen mit Leuchtstift markiert waren. Das Manuskript kam zurück, jeder dieser Absätze mit kleinen roten Haken oder mit Anmerkungen versehen. Ich war erleichtert. Ich mußte kein Glas einziehen. Meine Fischgemeinschaft war vielleicht unwahrscheinlich, aber möglich. Das meiste, was er korrigierte, änderte ich, manchmal nahm ich eine Unschärfe in Kauf, wenn ich ein Wort stärker fand als das biologische Argument.
Wie Wasser in drei Aggregatzuständen vorkommt, kann auch ein Text seine Temperatur und Dichte ändern: von den milchig dunstigen Anfängen, in denen der Autor sich orientiert, zur liquiden bunten Beweglichkeit der Szenen, mit denen er arbeitet (und an seiner Seite Freunde und ein Lektor, die mitlesen), bis zum Packeis des gedruckten Buchs.
Ein Buch schreiben heißt Intimität mit der Sprache teilen. Aber auch ein Leser tut das. Wie ich von einem erinnerten Aquarium ausging (das es nie gab, das ich schon beim ersten Sehen erfunden hatte), so geht der Leser von meinem Text aus. Aber in dem Augenblick, in dem er liest, ist es sein Text. Die Vorstellungen, die entstehen, sind seine Bilder. Und im Grunde geht der Leser auf seinem Königsweg den Weg des Autors zurück: Lesend schmilzt er das Eis, versetzt die Bilder in Bewegung, gerät in das Aerosol seiner Ideen.
Wenn das Erzählen des Autors an sein Ende gekommen ist, beginnt der Leser neu im Purpur der Freiheit. Das Buch verbeugt sich vor ihm; der Text ist für ihn da. Mag sein, in den Wissenschaften gibt es ein »falsches« Lesen; für die Herrlichkeit des Lesers gibt es das nicht. Er kann sich inspirieren lassen, wie er will, er darf aus dem Buch schöpfen, was ihm paßt. Er kann Seiten überspringen und andere doppelt entziffern. Ja, er mag selbst hineinschreiben und kommentieren. Oder: Seiten herausreißen, sie zerknüllen, zu Fliegern falten, gerahmt an die Wand hängen. Das Buch gehört dem König.
Der leise Impuls der Fingerspitze, der wachsende, schmale blaue Balken: Es ist der Moment, in dem der Text den Autor verläßt. Bis jetzt haben Autor und Text zusammengelebt und sich zusammen verändert. Diese Beziehung ist nun vorbei. Mit dem Abschließen eines Manuskripts stirbt der Autor einen seiner sieben Katzentode. Oder sind es neun? Schreiben dissoziiert. Schreibende sind unsichere Kandidaten. Sie leben komplizierte Seitensprünge mit Wörtern, mit Figuren. Sie lösen sich ein wenig von sich selbst und tauchen in das Leben anderer ein, die im Stand der Fiktionalität auch noch vage sind. Und gerade wenn diese Figuren unabhängig werden, haben die, die sie schrieben, ihre Schuldigkeit getan. Also heißt einen Roman abschließen auch
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