Fließendes Land (German Edition)
der Pfanne nicht mißglückten?)
Sie wisse nicht, ob sie ein Kind wolle, sagte eine von mir bewunderte junge Schriftstellerin. Mutterschaft verblöde. Ich verstehe sehr gut, was sie befürchtet: die banale Befriedigung wider jede Vernunft. Die Welt schrumpft zu einem Windelglück.Und doch sind Kinder das radikale Gegenwort.
Ein Mann, der sich als Nikolaus verkleidet, muß auch sterben, erklärte als Fünfjähriger einmal mein heute 19jähriger Sohn. Ich mußte an diesem Morgen nach Hamburg reisen, zu einer renommierten Redaktion. Und dann stand ich vor den modisch massiven Magazin-Herren und hatte Mühe, nicht zu lachen.
Schreiben und Kinder waren keine Gegenwelten, sondern ein osmotisches System. Gegenwelt war woanders. Sie begann mit einem Telephonat, das mich losschickte. Dann war ich unterwegs. Das hieß entbunden. Entbunden von zu Hause, aber auch entbunden vom eigenen, wohlorganisierten Ich. Von nun an war nicht mehr wichtig, was ich war. Ich war nur noch der Filter, durch den etwas hindurchlief, die ruhige Kamera, die aufnahm.
Als Kind hatte ich mir immer und mehr als alles andere gewünscht, unsichtbar zu sein. Das war nun in gewisser Weise erreicht. Wenn alles gut ging, war ich als Reporterin sozial nicht anwesend. Niemand kannte mich, doch ich würde alle kennenlernen. Ich durfte eine Geschichte suchen und mußte keine eigene haben. Wenn ich Glück hatte, wurde ich an einen Küchentisch eingeladen, aber ich kochte nicht. Ich mußte mich nicht um Heimat bemühen. In der Fremde war mir Heimatlosigkeit zum Beruf geworden. (Keine schlechte Lösung für die Tochter einer Flüchtlingsmutter.)
Ein befreundeter Photograph wollte mir einmal erklären, warum er mit der Werbephotographie aufgehört hatte. Wenn du Reklame für Zahnpasta machst, sagte er, dann frißt du diese Zahnpasta, du frißt sie, verstehst du? Vielleicht bin ich eine Reporterin, die Reklame macht für das Leben. Ich versuche, einen Ort zu erfassen (wie unterschiedlich Erde riechen kann), Arbeit zu verstehen (die Relativität von Reichtum), im Hinschauen rückhaltlos zu sein (keine Generation vor uns hat in dieser Weise mit medialen Bildern gelebt und mußte gegen Bilder sehen lernen). Es ist anstrengend und zugleich ungemein entlastend, für einige Tage, Wochen kein eigenes Leben mehr zu haben. Nur noch ein Meßgerät zu sein, das mit einer dünnen Mine in kleine Hefte notiert.
Und dann beginnt der Sog. Ein erlebter Moment bricht auf, und man antwortet unwillkürlich mit Worten. Solch reflexhaftes sprachliches Reagieren verändert die Sprache. Und es verändert das Erleben. (Aufblitzende Dankbarkeit dafür, da zu sein. Und: Die erschlichene Teilnahme impliziert ein Versprechen, das die Reportage einlösen muß.)
Die Ausbildung von Blindenhunden, das Leben der Nonnen in einem Schweigekloster: Ich bin mit einer schwarzen Augenbinde am Bügel eines warmen Tierkörpers durch Basel gegangen und habe in Marseille Leinenkutten ausgebessert und geschwiegen.
Und wenn es gelang (was jedes Mal unsicher blieb), kam schreibend in konturierten Nuancen der ungekannte Alltag zurück, eine wilde Beute, die das Hiersein bewies.
Warum ich Reporterin bin, auch wenn ich Romane schreibe.
Kurzes Querfeldein durch die Genres Essay, Reportage und fiktionale Prosa
Höflicher Applaus. Die Schriftstellerin schließt ihr Buch. Der Veranstalter lächelt in den Saal; schwer zu sagen, was er jetzt mehr fürchtet: das bleierne Schweigen des Publikums oder die erste Wortmeldung, die glockenrein die eine Frage stellt: »Warum schreiben Sie?«
Vermutlich ist die Frage besser als ihr Ruf. Eine kürzere Antwort, die mir einfiele, hieße: Ich schreibe, weil ich atme, weil ich so bin. Die längere beginnt zu erzählen. Ich habe mich oft im Kino gelangweilt, aber nie an einer Bushaltestelle. So bin ich Reporterin geworden. Reisereportagen, Sozialreportagen, Portraits. Daneben Kritiken, Essays. Über Mangel an Ärger mit Redaktionen konnte ich mich nicht beklagen, aber prinzipiell war ich einverstanden mit meinem Beruf. Es gab keinen Grund, etwas zu ändern. Nach dem Tod meiner Mutter, dem sehr schnell der Tod meines Vaters folgte, saß ich dann auf einmal am Computer und hatte, während ich doch an einer Auftragsarbeit formulierte, schon ein anderes Fenster geöffnet, in das ich seltsame Dinge hineintippte. Abgerissene Wendungen. Fragmentierte Bilder. Erinnerungssplitter. Und nun wußte ich tatsächlich nicht, warum ich schrieb. Warum ich das schrieb. Offensichtlich wollte
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