Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fließendes Land (German Edition)

Fließendes Land (German Edition)

Titel: Fließendes Land (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angelika Overath
Vom Netzwerk:
amerikanisch besetzten Zone, Autor des autobiographischen Berichts »Die Kirschen der Freiheit«, Gründungsmitglied der Gruppe 47 stellte er für den frischpromovierten Germanisten ein Stück jüngster Zeitgeschichte dar. Und Andersch kam aus dem harten Kern der deutschen Nachkriegsintelligenz. Zwei Jahre später sollte Alfred Andersch mit 42 Jahren seinen ersten Roman schreiben, »Sansibar oder der letzte Grund«, es ist das Jahr 1957, in dem Hans Magnus Enzensberger seinen ersten Gedichtband »Verteidigung der Wölfe gegen die Lämmer« veröffentlicht. In einer flammenden Rezension in den »Frankfurter Heften« feiert Andersch den neuen Autor, der »endlich, endlich« geschrieben habe, »was es in Deutschland seit Brecht nicht mehr gegeben hat: das große politische Gedicht«. Seine Besprechung des folgenden Gedichtbands »landessprache« wird den jungen Lyriker Enzensberger mit Heinrich Heine vergleichen. Und es war Alfred Andersch, der sofort jene Chiffre prägte, die Hans Magnus Enzensberger von Beginn an wie ein lable anhaften sollte: In Korrespondenz zu den »angry young men«, jener Szene britischer Autoren um Harold Pinter, Kingsley Amis, John Osborne, adelte er den blonden Jüngling aus Kaufbeuren zum »zornigen jungen Mann« der deutschen Literatur. Damit hatte die frühe Bundesrepublik nicht nur einen neuen Dichter, damit sollte eine neue poetische Ära beginnen.
    Alfred Andersch war ein hochkarätiger Stratege des literarischen Marktes. Und er war bereit, sein Wissen weiterzugeben. »Er war jemand, der einen in die Obhut nahm und einem erklärte, was Medien sind, der einem auch die politische Seite dieser Industrie erklärte. Er hat all das erzählt, was man sonst mühsam nur nach und nach herauskriegt.« Sein Schützling lernt erschreckend schnell. Im Februar 1956 sendet Andersch im Radio Enzensbergers Essay »Die Sprache des Spiegel«, eine Ideologiekritik eben jenes Magazins, dessen sich Enzensberger von nun an immer wieder bedienen wird.
    Eine überall vorkommende Groß-Form sind die Berge mit ›Eisbaumformen‹. Sie tritt auf, wenn Eis von Hochplateaus in die Rinnen steiler Wände einfließt. Oben breit aufgefächert, verjüngt sich der Eisstrom bis zum Fuß des Berges und bildet so eine Baum- oder Pflanzenform. Solche Eis-Bildungen sowie die Flechten sind die einzigen unbeweglichen Zeichen nicht-mineralischen Ursprungs. Aber diese wie jene kommen doch immer nur in Verbindung mit Steinen vor, sind stein-bedingt.
    Alfred Andersch wird zum Mentor und – als Rundfunkredakteur – zum Brotgeber nicht nur für den jungen Enzensberger, sondern für eine ganze Reihe von Autoren. Für seine Redaktion arbeiten unter anderen Wolfgang Koeppen, Arno Schmidt, Ingeborg Bachmann, Helmut Heißenbüttel (der nach Enzensberger sein Assistent wird und schließlich sein Nachfolger). »Er hat nicht nur nach den Ideen gefragt, die einer hatte, er wollte auch wissen, unter welchen Lebensbedingungen er schreibt. Er hat einige Leute aus sehr schwierigen ökonomischen Situationen herausgeholt. Und das galt nicht nur für Stars. Er hat Leute erkannt; er hatte Antennen. Und dann hat er sich mit Emigranten beschäftigt, niemand hat die ja eingeladen damals. Er hat Leute aufgespürt, Sendungen mit ihnen gemacht. Und er hatte Kontakte, es gab Coproduktionen mit Frankreich, Italien, mit Schweden. Wer realisiert das heute noch? Er hat Beckett nach Stuttgart gebracht. Und Nelly Sachs für Deutschland wiederentdeckt.« Auch hier knüpfte der junge Lyriker Enzensberger an. Er portraitierte die jüdische Dichterin im schwedischen Exil und setzte sich später als Suhrkamp-Lektor für ihr Werk ein. Er wurde ihr Nachlaßverwalter.
    Tier-Zeichen: Die Keilform eines wandernden Eisbären. Der leichte Paßgang zweier Ren-Hirsche unter pelzigen Geweihen. Die Schneefüchse streunen huschend. Robben gleiten in einer S-Kurve vom Eis in die See.
    Wir rauchen norwegische Filterzigaretten. Der Dichter schenkt Kaffee in blau-weiße Tassen der Königlichen Porzellan-Manufaktur Kopenhagen. »Der Rundfunk war damals ein Leitmedium. Das Radio ist ein sehr schönes Format für Wortleute, auch wenn heute die Produktionsbedingungen nicht mehr so gut sind. Das Radio war damals staatsfern; die Politik konnte nicht darauf zurückgreifen. Und es herrschte ein Pathos des Neuen. Ernst Schnabel in Hamburg, Kogon in Frankfurt, die Kritische Theorie war da, das war für die damaligen Verhältnisse eine gute Schule. Andersch war dabei, aber er hat nie zu

Weitere Kostenlose Bücher