Fließendes Land (German Edition)
es ist allein der Geist Gottes, der ihm zeigen kann, was für ihn gut wäre.
Das Collage-Ensemble (von altem Choral und neuen Rollen-Stimmen) wird nun abgeschlossen mit einem dreimaligen »Herr, wie du willt«. Dieses Textmotiv, wie auch sein musikalisches Pendant, das den ganzen ersten Teil umspielt und verbindet, werden im Fortgang der Kantate nicht mehr erscheinen.
Worin aber besteht der von der Sopran-Stimme versprochene Geist Gottes, der zeigt, was dem Menschen heilsam ist?
Als sei es die Antwort, folgt eine Tenor-Arie, die vom »Geist der Freuden« handelt. Rein logisch, vom Sinn der Worte her, lädt die Tenorstimme Gott ein, den Geist der Freuden in das Herz des Menschen zu senken. Faktisch aber evoziert dieses Singen genau das, um was es bittet. Es läßt die Freude anwesend sein. Der sehr kurze Text wird, Melodien ausmalend, Worte wiederholend (bis sie sich in Klänge auflösen), weit und verspielt gesungen, in immer neuen Koloraturen und Ansätzen, bis sich, lautmalerisch, das Singen selbst zu singen scheint. Und der »geistlich Kranke« gerät in ein Fluidum erlösender Heiterkeit.
Die musikalischen Figuren von »Freude« und »wanken« korrespondieren miteinander, ja das »wanken« wird musikalisch zum synkopierten souveränen Spiel mit der Unsicherheit. Dieses Wanken ist minutiös kalkulierte Stimmführung und von der sicheren Leichtigkeit eines gleichsam natürlichen Tanzes.
Im Grimmschen Wörterbuch wird das Wort »Freude« auch als ein Synonym von »spiel und lied« aufgeführt. Freude machen war noch lange ein Begriff für »Musik spielen«. Damit wäre der göttliche Geist der Freuden das Musizieren und der geistlich Kranke auch der, dem das Singen, das Spielen fehlte. Schon David spielte ja Harfe vor dem melancholischen Saul. Es war das einzige Mittel, den »bösen Geist« zu vertreiben.
Ein kurzes Baß-Rezitativ nimmt nun die Bewegung des Senkens als Spiegelfigur wieder auf. Wie sich Gottes Geist der Freuden ins Herz des Menschen senken sollte, so ist der Mensch nun aufgerufen, sich in Gottes Willen zu versenken. Dieses Baß-Rezitativ führt unmittelbar in die Baß-Arie.
Und von nun an ändert sich textlich wie musikalisch das Willens-Leitmotiv. Statt der Bienemannschen Zeile: »Herr, wie du willt« erscheint die Heilungsaufforderung aus dem Matthäus-Evangelium: »Herr, so du willst« (»Herr, so du willst, kannst du mich wohl reinigen«). Statt »wie« nun »so«.
Mit einem »So« beginnen auch die drei Strophen des unbekannten Autors: »So preßt ihr Todesschmerzen«, »So lege meine Glieder« und »So schlagt ihr Leichenglocken«. Das konditionale So, im Sinn von »wenn« (Herr, wenn du willst, kannst du mich wohl reinigen), wird umspielt mit dem konsekutiven »So« der Folge: »So also.« So also soll es sein.
Es geht in dieser Arie um die Bereitschaft zu sterben, ohne Angst. »Mein Jammer ist nunmehr gestillt« sind die abschließenden Worte, die der Dichter für die letzte subjektive Stimme der Kantate geschrieben hat. Sie stehen in direktem Gegensatz zur Verzweiflung der anfänglichen Tenorstimme, für die es selbst im Tod keine Erlösung gab. Was also ist geschehen? Warum ist der Jammer nun gestillt?
Immer wieder wurde in Kommentaren darauf hingewiesen, daß es in der zitierten Passage aus dem Matthäus-Evangelium doch um Heilung gehe und hier nun gerade nicht um Heilung, sondern um das Sterben. Vielleicht kann man das aber auch anders sehen. Ich höre es jedenfalls anders. Ich höre in diesem variierenden, freien Musizieren um den Geist der Freuden schon eine Heilung, eine Heilung von der Angst, vom Lebensschmerz, eine Heilung durch die Musik.
Bis zu der Schlußtextzeile »Mein Jammer ist nunmehr gestillt« ist das Willens-Motiv »Herr, so du willt« insgesamt neunmal zu hören. Danach gipfelt es aber am Ende noch in weiteren sechs musikalischen Spielarten auf. Hier findet ein ungeheures Aussingen statt.
Es ist jetzt die Musik, die will.
Und ich höre nach all den »So«-Varianten, die zwischen konditional, modal und konsekutiv schillerten, ich höre neben dem »Herr, wie du willt« »Herr, so du willt« auch ein: »Herr, so willst du es«! Herr, du willst dieses Musizieren, diese Freude. Und diese Musik ist mein Gebet, das vor dir gilt.
Zum Du des Gottvaters zu Beginn der Kantate, der die Geschicke des Menschen ganz und gar leiten soll: »Herr, wie du willt«, zum Du des Gottessohnes (aus dem Matthäus-Evangelium), der reinigend heilen soll, »Herr, so du willst«, käme
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