Flirtverdacht Roman
auf. Ich holte das vertraute blaue Samtkästchen hervor und klappte den Deckel auf. Der Diamant darin funkelte noch genauso strahlend wie immer. Erstaunlich, dass das Geschenk nicht stumpf wurde, wo doch die Liebe, die dahintergesteckt hatte, erloschen war.
Als ich den Ring vorsichtig aus dem Kästchen nahm und an meinen Finger steckte, erwartete ich fast, dass mich seine Kraft und Intensität überwältigen und zu Boden werfen würde. Aber es war nur ein Ring. Nur ein Schmuckstück. Hergestellt in irgendeiner Werkstatt von einem unterbezahlten Arbeiter, der nichts von meinem Leben ahnte.
Vielleicht war ein Diamant einfach nur ein Diamant. Vielleicht hatte er gar keine tiefere Bedeutung. Wie konnte er etwas symbolisieren, wenn er niemals aufhörte zu funkeln? Wenn er sich nicht einfach in Luft auflöste, so wie er ?
Und die Leere, die er hinterlassen hatte – nicht nur in meinem Herzen, sondern auch in meinem Haus –, war noch immer grenzenlos. Ich hatte tatsächlich geglaubt, dass ich sie ignorieren konnte. Dass ich mir ein Gefühl ausreden konnte, indem ich mir einfach vormachte, dass es mir ohne ihn besserging.
Vielleicht hatte Alice Recht. Vielleicht versuchte ich wirklich, ein emotionales Loch zu stopfen, durch das nach und nach alles Leben aus meinem Körper wich. Was für eine beunruhigende Vorstellung, dass mich eine völlig Fremde so durchschauen konnte, während mir selbst jeglicher Durchblick fehlte.
Bei dem Gedanken liefen mir Schauer über den Rücken, und ich ging zurück ins Wohnzimmer, ließ mich auf die Couch fallen und griff nach der Decke unter dem Beistelltisch. Ich zog sie fest um mich, als würde ich ein Neugeborenes einmummeln, ließ mich ungelenk auf die Seite sinken und rollte mich zusammen.
Meine Wohnung war ein Trümmerfeld. Überall lag schmutzige Wäsche, Kaffeebecher und Müslischalen standen auf dem Wohnzimmertisch, die Möbel waren mit Staub bedeckt. Normalerweise würde mich ein solcher Anblick hyperventilieren lassen. Doch jetzt war mir das Chaos egal. Es passte einfach zu gut zu dem Chaos in meinem Inneren.
Ich zog die Beine enger an meine Brust heran und vergrub das Gesicht in der weichen Decke.
Und dort entdeckte ich ihn.
Den einzigen Ort, an dem sich Jamies Geruch noch gehalten hatte. Fast zwei Wochen und tausend heimliche Tränen hatten ihm nichts anhaben können. Vielleicht war dieses Garn besonders unverwüstlich. Vielleicht hielten sich Gerüche darin besser als an jedem anderen Ort der Welt.
Ich atmete tief ein und versuchte, mit seinem Geruch andere Erinnerungen heraufzubeschwören. Wie sein Gesicht, seine Hände, sein Haar, wie sich seine Arme anfühlten, wenn sie sich um mich legten.
Tränen kamen mir nicht. Es war fast, als sei diese Art von Traurigkeit zu groß für Tränen. Zu groß für die üblichen Reaktionen auf Schmerz.
Es herrschte nur … Leere.
Am nächsten Morgen erwachte ich mit dem schlimmsten Kater meines Lebens. Ich hatte zwar keinen Tropfen Alkohol getrunken, doch die Emotionen, denen ich mich hingegeben hatte, bescherten mir weitaus schlimmere Kopfschmerzen und unerträgliche Übelkeit.
Ich hob den Kopf gerade so weit, dass ich auf die Uhr am Digitalreceiver sehen konnte. Es war neun Uhr morgens. Ich hatte mich zwölf Stunden lang nicht gerührt.
Ich wollte nicht ins Büro. Zum ersten Mal im Leben sah ich darin keinen Sinn. Wenn ich wirklich versuchte, in meiner jämmerlichen Existenz »ein Loch zu stopfen«, wieso sollte ich dann dabei das Leben anderer Menschen ruinieren? So wie ich offenbar Alice Garrett das Leben ruiniert hatte. Denn wem wollte ich etwas vormachen? Ich half nie mandem. Ich »weckte« niemanden aus einem Alptraum. Durch mich wurden Alpträume Wirklichkeit.
Wenn ich nicht gewesen wäre, wären Todd und Joy Langley noch verheiratet.
Darcie Connors hielte das langersehnte Baby in den Armen.
Alice Garrett wäre noch immer ahnungslos und glücklich. Sie würde zwar der Wahrheit nicht ins Auge sehen, aber sie wäre dennoch glücklich. Und was ist daran verkehrt, wenn man glücklich ist?
Ich war auch mal glücklich gewesen. Und es war wundervoll. Und jetzt ist alles kaputt. Und genau das habe ich diesen Menschen angetan. Ich habe ihr Glück zerstört.
Heute zog mich nichts ins Büro, aber mein Pflichtbewusstsein brachte mich schließlich doch dazu, dass ich mich von der Couch erhob. Um zehn hatte ich einen Termin mit einer potenziellen Auftraggeberin, und einen weiteren am Nachmittag. Beide Termine waren mir ein Dorn im
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