Flirtverdacht Roman
nie zuvor gehört hatte. Ich glaube sogar, dass die meisten Menschen diese Tätigkeit gar nicht als Job bezeich nen würden. Auf jeden Fall existiert sie nicht bei Monster.de. Und man findet sie auch nicht in den Broschüren der Berufsberatung oder in den Formularen, auf denen man das Kästchen ankreuzen soll, das der aktuellen Beschäftigung am ehesten entspricht. Nicht einmal ich selbst hatte etwas von diesem Beruf geahnt, bevor ich anfing, ihn auszuüben. Bis heute weiß ich nicht, ob es noch andere Leute wie mich gibt. Vielleicht bin ich sogar die Einzige. Eine einsame Kämpferin an einer neuen Grenze, die den anderen, die mir nachfolgen wollen, tapfer den Weg ebnet.
Ich sah mich selbst immer als eine Art Mini-Superheldin.
Mir ist schon klar, dass das ziemlich lächerlich klingt. Aber ich besaß alle typischen Eigenschaften einer echten Superheldin. Ich hatte ein spitzenmäßiges Kostüm (beziehungsweise Klamotten), um – je nach Auftrag – meine Beine, meinen Busen oder meinen Po besonders zu betonen. Ich besaß eine geheime Identität; Freunde und Familie kannten mich nur unter meinem richtigen Namen Jennifer Hunter. Aber diesen Namen konnte ich wohl kaum in meinem Job verwenden. Das war viel zu riskant. Schließlich hatte ich es oft genug mit labilen, wenig vertrauenerweckenden Leuten zu tun. Also hatte ich mir einen Codenamen ausgedacht: Ashlyn. Mit diesem Namen stellte ich mich den vielen nichtsahnenden Männern vor, die ich jede Woche traf.
Und ich besaß eine Superkraft. Im Grunde habe ich sie immer noch. So etwas verschwindet schließlich nicht einfach. Ich kann zwar nicht mit einem Sprung auf ein Hochhaus hüpfen, aber in den Augen der meisten Frauen zwischen achtzehn und fünfunddreißig ist meine Fähigkeit noch viel beneidenswerter.
Ich kann jeden Mann durchschauen, der vor mir steht … und zwar in weniger als dreißig Sekunden. Ich kann Männer lesen wie ein offenes Buch. Dabei weiß ich nicht, wie oder wann ich diese besondere Fähigkeit erworben habe – irgendwie hatte ich sie schon immer.
Natürlich war das ungeheuer hilfreich, als ich noch als Treuetesterin selbst unterwegs war.
Und jetzt hilft mir diese Fähigkeit, wenn ich einen Auftrag für eine meiner Mitarbeiterinnen vorbereite. Selbst wenn ich nur mit der Ehefrau rede, »spüre« ich irgendwie, worauf ein Mann anspringen wird. Zwar nicht ganz so deutlich, als wenn ich direkt vor ihm stehe, aber mein sogenannter sechster Sinn ist trotzdem ziemlich hilfreich.
Wenn ich Treuetests an Frauen vorbereite, funktioniert er nicht ganz so gut, aber ich gebe mein Bestes.
Die Fahrt von Brentwood zum Büro dauert zwischen acht und fünfzehn Minuten, je nachdem, wie viel Verkehr herrscht und wie viele rote Ampeln mich unterwegs aufhalten. Heute brauchte ich nur sieben.
Bislang hatte ich mich immer erfolgreich rausreden können, wenn ich wegen überhöhter Geschwindigkeit angehalten worden war, doch wenn mich an jenem Tag jemand erwischt hätte, als ich mit über hundert Stundenkilometern den Wilshire Boulevard hinunterraste, hätte ich wirklich all meine Überredungskunst einsetzen müssen, um nicht im Knast zu landen.
Aber die morgendliche Mitarbeiterversammlung hätte schon vor einer Viertelstunde anfangen sollen, und ich hasse es, ohne triftigen Grund zu spät zu kommen. Und in meinen Augen ging weder Sophies Anfall wegen des Tilapia noch Jamies plötzliche Lust auf einen morgendlichen Quickie als triftiger Grund durch.
Ich nahm den Fahrstuhl zum obersten Stockwerk und schritt rasch auf die Glastür am Ende des langen Korridors zu. Eine Tür, auf die ich im vergangenen Jahr jeden Morgen zugegangen war. Suite 1207.
Hadley, meine neue zweiundzwanzigjährige Assistentin, saß wie üblich am Empfang unter einem großen, verchromten Schild mit der Aufschrift The Hawthorne Agency.
Hadley war der Typ Frau, nach dem sich normalerweise niemand auf der Straße umdreht. Ihrem aschblonden Haar hätten ein Paar Strähnchen gutgetan, und ihre großen braunen Augen konnten etwas Make-up gut vertragen. Vermutlich hatte sie sich bislang immer mehr auf ihr Köpfchen verlassen als auf ihr Äußeres. Sie kam frisch von der Uni und war mir von einer meiner Mitarbeiterinnen empfohlen worden, die mir versichert hatte, Hadley sei fleißig und vertrauenswürdig. Letzteres ist natürlich eine besonders wichtige Qualifikation für diesen Job.
Hadley war erst seit ein paar Wochen dabei und arbeitete sich noch ein. Aber sie war engagiert, gut organisiert und
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