Flirtverdacht Roman
sanften, aber ausdrucksstarken Blick. Sein dunkles Haar zeigte gerade das erste Grau an den Schläfen, und ich muss zugeben, dass ich das wahnsinnig sexy fand.
Aber graue Schläfen oder nicht, ich war einfach unfassbar spät dran.
Also ließ ich den Verschluss meiner Aktentasche zuschnappen und machte mich auf den Weg zur Wohnungstür. Doch bereits nach wenigen Schritten fing mein Handy an zu klingeln. Ich seufzte, weil ich befürchtete, es könnte schon wieder Sophie sein, und bereute den Tag, an dem ich meine beiden unterschiedlichen Handys gegen ein einziges iPhone eingetauscht hatte. Früher hatte ich ein Handy für Privates und eins für geschäftliche Telefonate. Und damals wusste ich wenigstens immer, was für ein Gespräch mich erwartete – je nachdem, welches Telefon klingelte. Doch seit ich die Agentur eröffnet hatte, gab es für mich eigentlich keinen Grund mehr für zwei unterschiedliche Anschlüsse. Die meisten Auftraggeber hatten nur die Büronummer, und um diese Anrufe kümmerte sich meine Assistentin. Somit gelang es mir ziemlich gut, Privatleben und Beruf zu trennen.
Ich stellte die Aktentasche auf die Couchlehne und fischte das Handy wieder aus der Tasche. Die Nummer in der Anruferkennung hatte ich noch nie gesehen. »Kennst du die Vorwahl 914?«
Jamie tauchte hinter mir auf und zuckte die Schultern. »Nö, nie gehört.«
Die Neugier gewann die Überhand, und ich ging ran. »Hallo?«
»Hallo, Ashlyn?«, ertönte eine Frauenstimme, die mir irgendwie bekannt vorkam.
Nun, zumindest verriet mir der Name, mit dem sich mich ansprach, dass der Anruf beruflich war. Wäre es um etwas Privates gegangen, dann hätte sie mich Jennifer genannt. Keiner meiner Geschäftspartner kannte meinen richtigen Namen.
»Ja, das bin ich.«
Jamie kam zu mir und küsste mich stumm auf die Wange. »Vergiss nicht, dass wir heute Abend etwas vorhaben«, flüsterte er, bevor er in die Küche ging.
Ich hob einen Finger und nickte.
»Hier spricht Paula Potter, die Anwältin von Mrs Langley.«
Sofort war ich ganz Ohr. Natürlich – 914 war die Vorwahl von Westchester County. Wo ich keine vierundzwanzig Stunden zuvor gewesen war.
Das war er. Der Anruf, vor dem mir seit Verlassen des Gerichtssaals gestern gegraut hatte. Ein Teil von mir wollte gar nicht wissen, wie es ausgegangen war. Ein Teil von mir wollte die ganze Sache einfach abhaken und für immer vergessen. Vielleicht war es besser, diese Angelegenheit einfach zu verdrängen und nicht weiter darüber nachzudenken. Nach ein paar Wochen würde die brennende Frage allmählich erlöschen und schließlich zu einer schwach glimmenden Glut werden, die kaum noch der Rede wert war.
Der andere Teil von mir wusste jedoch nur zu gut, dass ich dazu nicht in der Lage war. Auch wenn ich es nur äußerst ungern zugab, der Ausgang des Verfahrens war mir ganz schön wichtig. Seit ich nicht mehr selbst im Einsatz war und mich auf einen »Schreibtischjob« verlegt hatte, waren die Zeugenaussagen im Gerichtssaal meine einzige Möglichkeit, direkt Einfluss auf das Leben meiner Auftraggeber zu nehmen. Klar, ich begrüßte sie in der Agentur, nahm ihre Fälle auf, bereitete die Aufträge vor und erstattete abschließend Bericht, wenn alles erledigt war. Aber trotzdem fehlte mir etwas. Ich war die Buchstütze der Geschichte, aber niemals das Buch selbst. Obwohl mir bewusst war, dass ich trotzdem anderen Menschen half, fühlte ich mich immer etwas außen vor. Ich war nicht mehr persönlich beteiligt. Und ich gebe offen zu, manchmal vermisste ich das. Diese persönliche Beteiligung. Den Beinahe-Sex mit verheirateten Männern natürlich weniger.
Daher war es für mich ein guter Kompromiss, als sachverständige Zeugin aufzutreten. So konnte ich immer noch einen direkten Beitrag leisten, ohne mein Jamie gegebenes Versprechen zu brechen. Leider hatten meine letzten fünf Aussagen keine besondere Wirkung gezeigt. In jedem einzelnen Fall war das Urteil zugunsten des Ehebrechers gefallen, nicht zugunsten des Opfers. Ich hoffte inständig, dass der Fall Langley dieser Serie ein Ende setzen und mir wieder das Selbstvertrauen geben würde, dass ich tatsächlich etwas bewirken konnte.
Somit hatte dieser Anruf für mich eine ganz besonders große Bedeutung.
»Ja, hallo, Ms Porter«, erwiderte ich ruhig und ließ mich auf einen der Esszimmerstühle sinken.
»Ich möchte Ihnen noch einmal dafür danken, dass Sie den weiten Flug auf sich genommen haben, um gestern für Joy auszusagen. Mir ist klar,
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