Flitterwochen
Keine Oma, kein Alibi.
»Gib mir fünf Minuten.« Ich springe aus dem Bett und vergesse in der Aufregung, dass ich weiter nichts anhabe. Hupsa, plötzlich stehe ich in Schlüpfer und Hemdchen vor Jan. Der läuft prompt rot an und betrachtet interessiert die Decke.
»Ich, äh, warte draußen, äh, auf dich«, stammelt er, wendet sich zum Gehen und stolpert auf dem kurzen Weg zur Tür über seine eigenen Füße. Unwillkürlich muss ich kichern. Wahrscheinlich ist er katholisch.
Zusammen laufen Jan und ich durch die sperrangelweit offen stehende Haustür nach draußen. Sieht tatsächlich aus, als hätte Oma das Weite gesucht.
»O Gott, wenn die sich im Wald verirrt«, ruft Jan und stürzt mit einem »Du links, ich rechts« davon.
Also gehe ich nach links und hüpfe dabei ein wenig auf und ab, es ist nämlich saukalt. Ich schaue auf meine Uhr – sechs Uhr dreißig. Ich finde das viel zu früh für eine konzertierte Suchaktion.
Glück muss der Mensch haben, denke ich, als ich nach etwa hundert Metern Oma Strelow entdecke. Sie sitzt vergnügt auf einem Baumstumpf und wippt mit den Beinen. »Frau Strelow, was machen Sie denn hier?«
»Pssst«, flüstert sie und zeigt nach vorne auf eine Lichtung. Dort äsen friedlich vier Rehe. »Ist das nicht schön?«, fragt sie mich. »Früher auf unserem Gutshof hatten wir jeden Morgen Besuch – Rehe, Hasen, Eichhörnchen, Fasane. Und jeden Morgen haben mein Heinzi und ich auf unserer Bank gesessen und so den Tag begrüßt. Was war das schön!«
Bevor sie noch weiter in andere Welten abtauchen kann, nehme ich sie sanft am Arm. »Nun kommen Sie mal mit. Es ist noch ganz schön frisch. Nicht dass Sie sich was wegholen!« Anstandslos lässt sie sich von dem Baumstumpf helfen und folgt mir.
Jan stößt einen Freudenschrei aus, als wir ihm entgegenkommen. »Gerda, was machst du denn für Sachen?«
»Wieso? Ich war doch nur ein wenig spazieren. So ein herrlicher Morgen! Da muss man an die frische Luft.«
»Du hättest dich verlaufen können.«
»Verlaufen? Ich?« Oma Strelow gibt ein entrüstetes Schnauben von sich. »Ein echter Pommer verläuft sich nicht. Der findet sich überall zurecht.«
Ich beschließe, dass wir uns jetzt alle erst mal einen anständigen Kaffee verdient haben. Im Haus ist es mucksmäuschenstill. Falls es außer uns noch andere Bewohner gibt, schlafen sie noch. Auch unsere Wirtin ist nirgendwo zu sehen. Entschlossen entern wir die Küche, finden nach einigem Suchen alles, was wir brauchen, und machen uns unseren Kaffee selbst.
Als wir nach dieser kleinen Kaffeepause mit unseren Siebensachen samt Urne aus dem Haus kommen, steht Kevins Pick-up schon auf dem Parkplatz.
»Da seid ihr ja endlich!«
»Und?« Jan schaut ihn fragend an. »Alles wieder heil?«
Kevin macht ein betrübtes Gesicht. »Es ist schlimmer, als ich dachte. Der ganze Kühler ist im Arsch, nicht nur der Schlauch. Da brauche ich eine spezielle Dichtungsmasse für, und die krieg ich nicht so schnell. Am besten wär sowieso ein ganz neuer Kühler.«
»Und wie lange brauchst du dafür?«, frage ich ungeduldig.
»Da ich die Sachen nicht einfach über den Großhandel bestellen kann, sondern zu einem Kumpel fahren und gucken muss, ob er die Sachen dahat … und dann so kurz vor Ostern … also, selbst wenn ich ganz schnell bin – einen Tag müsst ihr mindestens noch rechnen.«
Ich bekomme gleich einen Schreikrampf. Das kann doch wohl alles nicht wahr sein! Sitzen wir jetzt hier fest, mitten in der Pampa, oder was? Wahrscheinlich werde ich nie wieder nach Hause kommen, und heiraten werde ich schon gar nicht.
Kevin mustert mich besorgt, wahrscheinlich hyperventiliere ich bereits. »Alles gut bei dir?«
»Nichts ist gut«, brülle ich ihn an. »Wir müssen nach Polen. Heute noch! Jetzt! Sofort!«
»Genau«, sagt Oma Strelow und nickt. Jan sagt lieber nichts. Wahrscheinlich hat er Angst, mich noch weiter zu reizen.
»Lass mal überlegen …«, sagt Kevin und krault sein Kinn. »Mir kommt da gerade eine Idee …«
»Jaaa?«, fragen Jan und ich unisono.
»Also, der Cousin meines Schwagers hat einen Trabbi-Verleih. Läuft nicht mehr so gut, will ja keiner mehr haben, die alten Dinger. Den könnt ich mal fragen, ob er euch bis morgen einen Wagen gibt. Sollte eigentlich kein Problem sein. Und in der Zeit schau ich mal, dass ich eure Karre zumindest so hinkriege, dass ihr damit dann wieder nach Hause kommt.«
»O ja, ja, mach! Frag deinen Schwager oder Cousin oder was auch immer,
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