Flitterwochen
»Alles in Ordnung bei Ihnen? Brauchen Sie noch etwas?«, fragt sie und blinzelt uns misstrauisch an. Wir waren wohl etwas zu ruhig. Wahrscheinlich ist sie von der Angst getrieben, dass in ihrem anständigen Haus quasi halböffentlich irgendwelche unanständigen Sachen passieren. Als sie sieht, dass wir nur so etwas wie ein verspätetes Mittagsschläfchen halten, ist sie beruhigt. »Soll ich Ihnen noch etwas Tee bringen?«
»Was meinst du?« Jan sieht mich fragend an.
Etwas schwerfällig rappele ich mich auf. »Ach, noch ein bisschen Tee wäre nicht schlecht. Und auch noch ein paar von diesen leckeren Schnittchen. Können wir das auch aufs Zimmer bekommen?« Noch mal lasse ich mich nämlich nicht von unserer Anstandsdame stören.
Also machen wir es uns in unserer Suite gemütlich. Hier gibt es zwar kein lustiges Feuerchen, aber dafür ist das Sofa noch breiter und bequemer. Der Room-Service bringt uns die gewünschten Sachen, und Jan durchstöbert die Minibar.
»Ich finde Tee pur auf Dauer etwas nüchtern«, grinst er mich an und kippt mir irgendeine undefinierbare Flüssigkeit in meine Tasse. Na dann prost!
Trotz der hochprozentigen Unterstützung will sich die kuschelige Stimmung von eben nicht so recht wieder einstellen. Jan breitet zwar fürsorglich eine Decke über mich, verschanzt sich dann aber am anderen Ende des Sofas. Nur unsere Zehenspitzen berühren sich unter dem Wollplaid leicht.
»Und – freust du dich schon auf zu Hause?«, fragt Jan zögerlich.
»Na klar«, sage ich, »was denkst du denn?«
Aber freue ich mich wirklich? Irgendwie habe ich das dumpfe Gefühl, dass mein Leben in den letzten Tagen völlig aus den Fugen geraten ist. Dass es nicht wieder so sein wird, wie es vorher war. Und dass ich das vielleicht auch gar nicht will.
Okay, wenn ich wieder in Lübeck bin, ist das Ding mit der Geiselnahme schnell aufgeklärt. Auch Alexander wird sich, sobald er die Wahrheit erfährt, beruhigen. Aber was ist eigentlich mit mir? Kann ich meinem Verlobten verzeihen, dass er mir nicht vertraut hat? Schließlich geht Alex die ganze Zeit davon aus, dass ich tatsächlich eine Verbrecherin bin. Und statt sich um mich Sorgen zu machen, sorgt der Blödmann sich einzig und allein um seine Karriere.
Als könnte er in meinen Kopf gucken und meine trüben Gedanken lesen, schubbert Jan jetzt sanft mit seinen Füßen an meinen herum. »Tine, das wird schon alles wieder …«
»Meinst du?«, kommt es von mir ziemlich kläglich zurück.
Jan nickt und schubbert wieder beruhigend. Und das ist irgendwie zu viel für mich. Spontan breche ich in Tränen aus.
»Nihichts wird wiehieder guhut«, heule ich in die Wolldecke.
»Mensch, Tine!« Angesichts meines Gefühlsausbruchs ist Jan ganz erschrocken. Er springt auf, nimmt mich fest in den Arm und streichelt mir sanft über die Wange. Dann kippt er vorsichtshalber noch etwas Schnaps in meinen Tee. Alkohol scheint in Polen eine echte Allzweckwaffe zu sein – hilft sowohl gegen Fußpilz als auch bei seelischen Verstimmungen.
Drei Tassen später habe ich mich einigermaßen beruhigt. Jans Pullover zieren allerdings unschöne Schnodderflecken. »Weißt du was?« Entschlossen zieht er mich hoch. »Ich bring dich jetzt ins Bett. Das war ein anstrengender Tag, und morgen müssen wir ziemlich früh aufstehen.«
Leicht willenlos lasse ich mich von ihm ins Schlafzimmer führen. Wie einem kleinen Kind zieht er mir Hose und Pulli aus und packt mich unter die dicke Daunendecke. Au ja, Zähneputzen lassen wir heute ausfallen! Damit erspare ich mir auch einen Blick in den Spiegel. Ich sehe bestimmt fürchterlich aus – dicke, rote Nase und verquollene Augen.
Jan schlüpft zu mir unter die Decke und nimmt mich wieder in den Arm. Leise beginnt er ein Lied zu summen. Jetzt fühle ich mich tatsächlich wie ein Kind, das gerade von seiner Mami ins Bett gebracht wird. Ein schönes Gefühl. Dann pustet er mir sanft in den Nacken und fängt an, ein bisschen an meinem Hals zu knabbern. Ein noch schöneres Gefühl!
Ich drehe mich zu ihm um, jetzt liegen wir Nase an Nase. Sanft nimmt Jan meinen Kopf zwischen seine Hände und küsst mich. Erst ganz vorsichtig, dann etwas stürmischer. Ich küsse einfach mal zurück, habe ja gerade nichts anderes vor. Und gerade, als ich mir Gedanken mache, ob das wohl die berühmt-berüchtigte Hasenpfote ist, die er in der Hosentasche hat, drückt Jan mir plötzlich einen dicken Schmatzer auf die Stirn und rollt sich auf die andere Seite. »Gute
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