Flitterwochen
Jan macht keinen Spaß. Keine dreißig Sekunden später hält er mir ein volles Glas unter die Nase.
»Jan, es ist vier Uhr neununddreißig. Findest du das nicht ein bisschen früh?«
»Vier Uhr neununddreißig? Nee, das finde ich eher ein bisschen spät! Ich meine, die Nacht ist fast rum, und wir haben noch keinen Champagner getrunken. Das geht ja gar nicht! Also: Na zdrowie!« Seufzend nehme ich ihm das Glas ab, und wir stoßen an. Wo soll das noch enden?
Zwei Gläser später finde ich die Regel, vor achtzehn Uhr keinen Alkohol zu trinken, völlig überholt. Champagner schmeckt wirklich zu jeder Uhrzeit. Mir geht es deutlich besser als noch vor einer halben Stunde, und ich sehe alles lockerer. Es ist einfach so: Alex hat mich schlecht behandelt, und das hat er nun davon. Jawoll! Und im Grunde genommen ist ja auch gar nichts gewesen. Das bisschen Knutschen gestern Abend zählt doch gar nicht. Und es war sooo schön. Wie gut Jan küssen kann – oder habe ich mir das eingebildet?
»Woran denkst du gerade?«, will Jan in diesem Moment von mir wissen.
Ich merke, wie ich rot werde – ob der meine Gedanken lesen kann?
»Äh, ach nichts.«
»Sag doch mal. Du hast gerade so seltsam geguckt.«
»Seltsam?«
»Na ja, irgendwie … verträumt.«
»Wahrscheinlich, weil ich so müde bin. Ich habe gerade gedacht, dass wir hier zwei sehr schöne Tage hatten.«
Jan nickt. »Stimmt. Ich fand es auch sehr schön mit dir. Es war sehr … besonders.«
Er sieht aus, als wolle er noch etwas sagen, lässt es dann aber bleiben. Ich muss gähnen. Mit einem Mal bin ich tatsächlich so müde, dass ich kaum noch die Augen aufhalten kann.
»Hm, ich glaube, ich muss noch ein bisschen schlafen.«
»Gute Idee. Ich auch.«
Ich will mich gerade wieder auf meine Seite legen, da nimmt mich Jan in den Arm und küsst mich. Erst zögerlich, dann entschlossen. Ob es an der Krise mit Alex, dem Champagner oder woran auch immer liegt: Nach einer Schrecksekunde küsse ich ihn auch. Und zwar ziemlich entschlossen. Nein, ich habe es mir nicht eingebildet: Jan kann echt gut küssen, es ist die richtige Mischung zwischen zärtlich-spielerisch und wild. Ich merke, wie ich am ganzen Körper eine Gänsehaut bekomme. Stundenlang könnte ich so weitermachen. Trotzdem bin diesmal ich es, die Jan sanft von sich schiebt.
»Gute Nacht, mein Gemahl. Ich brauche noch ein bisschen Schönheitsschlaf.«
Jan lächelt. Falls er enttäuscht ist, lässt er es sich jedenfalls nicht anmerken.
»Du hast recht, ich könnte auch noch ein wenig Schlaf vertragen.« Bevor er sich allerdings in sein Kissen kuschelt, flüstert er mir noch etwas ins Ohr.
»Tine, du bist eine wahnsinnig tolle Frau. Alexander hat riesiges Glück.«
Auf der Rückfahrt nach Kolberg sind wir beide ungewöhnlich schweigsam. Schon beim Frühstück im
Stella Maris
hatte ich mich gegen meine sonstige Gewohnheit hinter der einzigen deutschen Zeitschrift verschanzt, die an der Rezeption auslag. Jetzt bin ich völlig im Bilde, was die Affären diverser deutscher Schauspieler anbelangt, und auch beim Liebesleben der Hollywoodstars macht mir niemand etwas vor. In meinem eigenen Privatleben ist mir hingegen einiges unklar, aber Klarheit wird wahrscheinlich maßlos überbewertet.
Auch Jan macht nicht den Eindruck, als hätte er gerade großen Klärungsbedarf. Er sieht aus dem Fenster, während links und rechts von uns wieder die Wälder vorbeiziehen. Ist mir gerade sehr recht, ich weiß sowieso nicht, wie ich die letzten vierundzwanzig Stunden erklären könnte. Ihm nicht und erst recht mir selbst nicht. Besser also gar nicht reden.
»Du, Tine«, setzt Jan schließlich doch an. »Das gestern …«
»Ja?«
»Also, ähm … dieser Räucherfisch war schon ganz schön lecker.«
Puh. Ich nicke. »Stimmt. Das finde ich auch.«
»Ich mag überhaupt sehr gern Fisch.«
»Hhm, geht mir genauso.«
Wir essen also beide gern Fisch. Dann wäre das ja schon mal geklärt. Ob wir als Nächstes entdecken, dass wir beide ein Faible für Laubsägearbeiten haben? Ich muss kichern.
»Was ist denn so lustig?«, will Jan wissen.
»Ach nix.«
»Sag doch mal!«
»Na gut. Ich musste gerade an Laubsägearbeiten denken.«
»Hä? Was ist das denn?«
»Laubsägearbeiten? Kennst du nicht?«
Aus den Augenwinkeln sehe ich, dass Jan den Kopf schüttelt. »Nein. Das Wort habe ich noch nie gehört.«
»Also, eine Laubsäge ist eine Säge, mit der man aus ganz dünnen Holzbrettern Figuren aussägen kann. Das ist
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