Flitterwochen
springt die Tür auf. Drinnen sieht es genauso aus, wie ich mir einen Puff der gehobenen Preisklasse immer vorgestellt habe: viel Gold, viel Holz, viel Rot, funkelnde Kronleuchter. Um diese Uhrzeit ist hier natürlich noch nichts los. Nur an der Bar sitzt ein einsames Männchen und starrt in seinen Drink.
»Hallo«, sagt Jan. »Wir bringen Dieters Wagen vorbei.«
Das Männchen wendet uns sein müdes Gesicht zu und zeigt wortlos auf eine Tür im hinteren Teil der Bar.
»Weißt du was?«, zische ich Jan zu. »Ich glaub, den Typen kenne ich!«
»Woher kennst du denn solche Typen?«, fragt Jan erstaunt.
»Mensch, das ist doch René Schweller!«
»Wer?«
»René Schweller! Der war früher mal ein berühmter Boxer.«
»Boxer? Der Kerl ist doch höchstens einen Meter sechzig groß und ein extrem schmales Hemd …«
»Eben, genau wie René Schweller.«
»Tine, du spinnst!«
Jan stößt resolut die Tür auf, und wir stehen in einem kleinen Büro. Hinter einem kleinen Schreibtisch hockt ein blonder Hüne, der mindestens so breit wie hoch ist, also das absolute Gegenprogramm zu unserem Empfangskomitee an der Bar. Offensichtlich ist er ein bisschen erschrocken, als wir so plötzlich vor ihm auftauchen. Jedenfalls beginnt er, hektisch die Geldbündel, die sich vor ihm türmen, in eine Schublade zu stopfen.
»Wer seid ihr denn?«, raunzt er uns an.
»Entschuldigung, wir wollen gar nicht groß stören«, antwortet Jan. »Wir bringen nur Dieters Wagen vorbei. Der Dieter war so nett, uns den zu leihen.«
»Ah, das wird aber auch Zeit! Alles in Ordnung mit dem Hummer?«
»Alles in allerbester Ordnung«, versichere ich.
»Dann ist ja gut. Was anderes will ich euch auch nicht geraten haben. Der Dieter versteht da keinen Spaß …«
Das glaube ich sofort, auch ohne den Dieter zu kennen.
»Kein Kratzer dran, gar nichts. Wenn Sie dem Dieter dann noch danke schön von uns sagen würden …«, füge ich eilfertig hinzu.
»Ja, ja, schon gut. Und jetzt raus mit euch«, blafft Mr. Bodybuilding.
Das lassen wir uns nicht zwei Mal sagen und treten den geordneten Rückzug an. Als wir an der Bar vorbeihasten, sage ich ganz frech: »Tschüss, René!« Sofort hellt sich das Gesicht des Männchens auf. Es lächelt verschmitzt und deutet einen rechten Haken an.
Wusst ich’s doch!
Oma wartet schon mit dem Essen auf uns. »Kommt, wir machen es uns in der guten Stube gemütlich!« Dort hat sie mittlerweile den Tisch gedeckt, und wir machen uns über den riesigen Schnittchenteller her und vertilgen die üppig belegten Stullen nebst Käsewürfeln und selbst eingelegten Gürkchen. Herrlich – wie bei Mutti.
»Wifft ihr, waf ich heute fon allef erledigt habe …«, nuschelt Oma mit vollem Mund.
»Nee, waff denn?«, antwortet Jan.
»Aaalfo«, Oma kaut und schluckt. »Ich habe einen Makler gebeten, das Haus für mich zu verkaufen. Und dann habe ich eben, als ihr unterwegs wart, mit diesem Anwalt telefoniert, dem Dr. Steinmüller, und ihm das Problem mit meinen Kindern geschildert. Der nimmt sich der Sache jetzt an und besorgt mir irgendeinen Wisch, dass ich im Oberstübchen noch alle beisammen habe und voll geschäftsfähig bin, oder wie das heißt. Tja, ist also nix mit Entmündigen. Die machen mir keinen Strich durch die Rechnung!« Gerda sieht sehr zufrieden aus.
»Hast du dir das auch wirklich gut überlegt?«, fragt Jan. »Du kennst doch in Kolberg niemanden mehr. Nicht dass du da vor lauter Einsamkeit eingehst wie eine Primel!«
»I wo! Fräulein Agnieszka wird sich ganz rührend um mich kümmern. Und dann ist da ja auch noch dieser nette ältere Herr. Außerdem hat deine Tante gesagt, sie besteht darauf, dass ich jeden Sonntag zum Essen vorbeikomme. Einsam werde ich bestimmt nicht sein!«
Omas Plan hat Hand und Fuß, finde ich. Das hätte ich der alten Dame gar nicht zugetraut. Aber sie ist noch gar nicht fertig, sondern setzt noch einen obendrauf: »Und dann habe ich mir noch überlegt, wenn ich jetzt nach Kolberg ziehe, ist deine Mutter ja plötzlich arbeitslos, Jan. Und ich weiß, dass sie das Geld dringend braucht. Also werde ich mit Fräulein Agnieszka sprechen und sie bitten, Magda als Pflegerin einzustellen. Damit schlage ich gleich drei Fliegen mit einer Klappe, ist das nicht wunderbar? Deine Mutter hat einen festen Job, sie muss nicht mehr so weit fahren,
und
ich habe sie in meiner Nähe!« Gerda strahlt über alle vier Backen.
Das hat sie sich aber wirklich fein ausgedacht. Jan ist so begeistert, dass er
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