Flitterwochen zu dritt
verschaffen. Klar, ich habe eine eigene Firma, aber ich trage nur selten einen Anzug, und bis vor kurzem hatte ich kein schickes Auto. Deswegen kann ich verstehen, warum deine Familie denkt, dass ich nicht gut genug für dich bin. Aber ich verspreche dir eins: Ich werde es nie zulassen, dass es meiner Frau an irgendetwas fehlt. Und wenn ich sieben Tage in der Woche rund um die Uhr arbeiten muss, um meiner Familie ein gutes Leben zu bieten! Ich werde beweisen, dass ich dich verdiene, und ich schwöre, dass ich dir nie einen Grund geben werde, zu bedauern, dass du mich heiratest.”
Er hatte mit so rührender Ernsthaftigkeit gesprochen, aber Worte, das wusste Julia nun, waren billig, wenn keine Taten folgten. Noch ehe sie sich an das Gefühl des Eherings an ihrem Finger hatte gewöhnen können, hatte Ben seine heiligsten Versprechen gebrochen. Wie hatte er das tun können, wenn er sie so liebte, wie er behauptete?
Erschöpft davon, immer wieder dieselben Probleme zu wälzen, aber zu aufgewühlt, um zu schlafen, machte Julia das Licht aus und öffnete das Fenster. Der Nachthimmel war so klar, dass sie bis zum Staat Washington blicken konnte. Sie sah die Silhouette des Mount Baker, der das ganze Jahr über mit Schnee bedeckt war, im Osten. Im Südwesten schlugen die Meereswellen friedlich an die Küste.
Der Duft von Rosen und Levkojen lag in der warmen Luft.
Ein silberner Mondstreif fiel auf das Meer. Wenn sie sich weit genug hinauslehnte, konnte sie das Glitzern der Lichter von den Restaurants am Marine Drive sehen. Dort ertönten Musik und Gelächter, Weingläser klangen, Kerzen flackerten und verliehen den Blumen in den Kästen und Ampeln lange Schatten.
Es war eine Nacht für Liebende, für ein Paar in den Flitterwochen. Es war eine Nacht, um neben dem frisch gebackenen Ehemann in der Dunkelheit zu liegen und zu entdecken, was wahre Nähe bedeutete. Doch sie, Julia, hatte sich nie einsamer gefühlt. Ben war nur einige Meter entfernt, aber die Distanz zwischen ihnen war so groß, dass er auch auf der anderen Seite der Welt hätte sein können.
Der Gedanke an ihn brachte die Enttäuschung und den Schmerz mit solcher Heftigkeit zurück, dass ihre Gefühle sie erneut überwältigt hätten, wenn da nicht ein anderes Geräusch die Stille durchschnitten hätte. Sie hielt inne und lauschte. Da war es wieder, irgendwo im Haus, das herzzerreißende Geschrei eines ganz kleinen Babys. Bens Baby.
Sie wollte es nicht hören. Sie wollte nicht wissen, warum es weinte. Aber sie konnte es auch nicht ignorieren. Als Einzelkind hatte sie nie mit Babys zu tun gehabt. Doch sie spürte instinktiv, dass das arme Kleine seine Mutter vermisste, und sie konnte es nicht ertragen.
Julia machte das Licht wieder an und wühlte in ihrer Reisetasche nach irgendetwas, das sie sich überziehen konnte.
Sie wollte sich nicht in ihrer Unterwäsche hinauswagen.
Schließlich fand sie ein Nachthemd aus Satin und einen dazu passenden Morgenmantel - weiß natürlich, ein Geschenk ihrer Mutter. Er war hübsch, reich bestickt und mit Bändern verziert, viel zu frivol und romantisch für die jetzige Situation, aber er erfüllte seinen Zweck.
Der Flur oben lag im Dunkeln, als sie aus dem Zimmer trat, aber unten brannte noch Licht. Leise ging sie bis zur Treppe, ohne weiter zu denken, ohne zu wissen, ob sie das Baby beruhigen konnte. Sie wusste nur, dass sie etwas gegen sein jämmerliches Weinen tun musste.
Julia war die Treppe schon halb hinuntergegangen, als Licht aus der Küche in den Flur fiel. Einen Moment später erschien Ben.
Er hatte seine Smokingjacke ausgezogen, die Fliege gelöst und den obersten Hemdknopf geöffnet. Ein Handtuch lag über seiner Schulter, und er hielt das Baby, als wäre es ein Fußball, den Kopf in seiner rechten und den kleinen Po auf der linken Hand. Die Beinchen klemmten in seiner Armbeuge. Er summte und schaukelte das Baby viel zu heftig. Julia blieb das Herz fast stehen, als Ben den Pfosten am Geländer übersah. Einige Zentimeter weiter rechts, und er hätte dem Baby den Kopf gestoßen.
Pass auf! wollte sie rufen. Pass auf, wo du hingehst, und schüttel ihn nicht so, wenn du nicht möchtest, dass ihm übel wird. Halt ihn so, dass er deinen Herzschlag hören kann, nicht als ob du versuchst, einen Treffer beim Rugby zu erzielen!
Vielleicht hatte sie einen Laut ausgestoßen oder sich bewegt, denn Ben hörte plötzlich auf, herumzulaufen und sah zu ihr herauf. Sie wollte wegblicken oder ins Zimmer zurückkehren, aber
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