Flöte und Schwert
zurück. Vorerst schien er vor Entdeckung sicher zu sein. Später sah er, dass auf den Mauern die doppelte Anzahl Posten die Runde machte. Als es dunkel wurde, fasste er den Entschluss, in der Schlafzelle zu bleiben und abzuwarten.
Erst in der nächsten Nacht wagte er wieder einen Streifzug. Seine Hoffnung, die Wachsamkeit der Männer würde nachlassen, erfüllte sich jedoch nicht. Es wurde zu einem schwierigen Unterfangen, unbemerkt über den Hof zu gelangen. Überall brannten Fackeln und Lampen. Omar musste warten, bis ein Wächter am Küchengebäude vorbeigegangen war, dann hastete er zum Lagerhaus und verbarg sich hinter den Fässern. Kriechend bahnte er sich seinen Weg zwischen den Kisten und Säcken hindurch. Nur so konnte er den Blicken der Männer entgehen, die sich auf dem Dach der Kornkammer postiert hatten. Eine halbe Stunde später war er bei der Schmiede. Die Tür war nur angelehnt. Omar wusste, dass sie quietschte. Er öffnete die Phiole, die er aus der Küche mitgenommen hatte, und goss das Öl über die Scharniere. Nun ließ sie sich lautlos öffnen, und Omar huschte ins Dunkel.
Die heiße Luft im Innern der Schmiede roch nach Asche. Fahles Licht fiel durch hohe Fenster. Er stieg die Treppe hinunter in den Keller. Bald sah er nur noch Schwärze. Dennoch wagte er nicht, seine Lampe anzuzünden.
Plötzlich erklang ein Scharren. Dann ein Geräusch, das sich anhörte, als riesele Staub. Panik erfasste Omar, und er spürte, dass er nicht alleine im Keller war. Seine Hand fuhr zum Gürtel – und griff ins Leere. Er hatte sein Messer vergessen! Hektisch sah er sich nach einer Waffe um. Seine Augen hatten sich inzwischen an die Dunkelheit gewöhnt, und er griff nach einer Kohleschaufel, die an der Wand lehnte.
Wieder war das Rieseln zu hören. Omar dachte an eine Vielzahl von dünnen, langen, haarigen Beinen, die über den Boden huschten. Er wich zurück, bis er die Wand an seinem Rücken spürte. Seine Hände schwitzten.
Da! Etwas bewegte sich. Kam näher!
Omar schwang die Schaufel. Mit einem dumpfen, metallischen Pochen traf sie auf Widerstand. Ein dünner Klagelaut folgte, dann war alles still.
Omar wartete, bis sich sein Herzschlag beruhigt hatte, dann holte er Lampe und Feuerstein hervor. Er fürchtete sich vor dem Anblick, der sich ihm gleich bieten würde. Der Docht fing Feuer, und Licht verdrängte die Finsternis ...
Eine Katze. Er hatte eine verdammte Katze getötet!
Leise fluchend wischte er das Blut von der Schaufel und wickelte die Katze in ein rußgeschwärztes Tuch. Später würde er sich ein Versteck für den Kadaver überlegen müssen.
Er rief sich ins Gedächtnis, weswegen er hergekommen war, und ging weiter. Der Keller erstreckte sich über mehrere Räume voller Kohle. Im letzten Gewölbe entdeckte er eine eisenbeschlagene Tür mit einem vergitterten Fenster. Omar pochte leise gegen das Holz. „Bahir!“, flüsterte er, „ich muss mit dir reden!“
Das narbenübersäte Gesicht des Hünen erschien im Fenster. Als er Omar erkannte, blitzte es schalkhaft in seinen vom Schlaf verquollenen Augen. „Du spielen!", sagte er grinsend.
„Sei leise!“, zischte Omar. „Jetzt ist nicht die Zeit für Musik. Ich bin hier, um dir etwas zu sagen. Hör mir zu: Bald, in ein paar Tagen, werde ich dich befreien. Bis es so weit ist, darfst du niemandem sagen, dass ich bei dir gewesen bin. Nicht dem Schmied, nicht dem Hauptmann. Niemandem. Hast du verstanden?“
Bahirs Stirn legte sich in Falten, und er umfasste mit beiden Händen die Gitterstäbe. „Niemand sagen.“
„Sehr gut!" Omar lächelte. „Hier ist etwas Zuckergebäck. Es ist das Zeichen unserer Freundschaft." Strahlend nahm der Hüne das Päckchen entgegen. Wahrhaftig, Bahir war ein Kind, gefangen im Körper eines Riesen. „Denk immer daran", flüsterte er, „wenn wir frei sind, kann ich jeden Tag für dich spielen. Allah schütze dich, mein Freund.“
Bahir gab keine Antwort. Er hatte sich den gesamten Inhalt des Päckchens in den Mund gestopft und kaute glücklich.
Omar verließ die Schmiede. Die tote Katze hatte er mangels einer besseren Idee in seinem Beutel mitgenommen. Draußen umging er die Wachen und drang ins Gesindehaus ein. Wenig später war er im Keller. Wie erwartet, war die Tür zu Al Tufails Beschwörungskammer nur angelehnt. Flackerndes Licht erhellte den Gang, und die Stimme des Edelmanns war zu hören. Als Omar in die Schachtöffnung spähte, sah er gerade noch, wie die Riesenschlange in den Flammen
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