Flöte und Schwert
Jagd von einer Hyäne angefallen worden – vermutlich liege er tot in einer Schlucht. Der Hauptmann ordnete eine Suche an. Gegen Abend kamen die Männer erschöpft und schmutzig zurück. Dass sie nichts gefunden hatten, wunderte niemanden. Das Felsmassiv war weitläufig und voller schwer zugänglicher Schluchten; ein Vermisster konnte überall liegen. Schließlich wurde der Mann für tot erklärt. Omar, der erwartet hatte, dass der Hauptmann die Suche auf die Festung ausweiten würde, war erleichtert. Mit etwas Glück hatte er ein paar zusätzliche Tage gewonnen.
Nachts begab er sich wieder auf Erkundung. Diesmal erwarteten ihn auf dem Weg zum Keller Schwierigkeiten: Die Diener hatten ein Fest gefeiert, einige waren auch nach Mitternacht noch auf den Beinen. Lärmend saßen sie in der Küche des Gesindehauses. Da diese dem Trockenraum gegenüberlag, war Omar gezwungen, durch ein anderes Fenster einzusteigen. In dem kleinen Schlafraum liebte sich ein Paar. Glücklicherweise waren beide – Diener und Sklavin – so berauscht von ihrer Lust, dass sie den Eindringling nicht bemerkten. Der Anblick der verschlungenen Körper ließ süße, quälende Erinnerungen an Nadirah in Omar aufsteigen. Eilig entfernte er sich.
Im Keller angekommen, überdachte Omar kurz seine Pläne. Inzwischen bereute er das Versprechen, das er Bahir gegeben hatte. Wie sollte er jemanden befreien, der Tag und Nacht von zwei Männern bewacht wurde? Omar wusste nicht einmal, ob seine Schlüssel die Zellentüren öffnen konnten. Leider blieb ihm gar nichts anderes übrig, als das Versprechen einzulösen. Denn mit jeder weiteren Stunde, die Bahir in Gefangenschaft verbrachte, wuchs die Gefahr, dass er Omar verriet – ob absichtlich oder nicht.
Ich muss versuchen, die Wachen wegzulocken
, dachte Omar angespannt, während er den Schlüssel ins Schloss führte. Zu seiner Verwunderung war die Tür nicht abgeschlossen. Treppe und Gang des Kerkers lagen im Dunkeln. Omar kaute auf seiner Unterlippe. Etwas war geschehen – gewiss nichts Gutes. Mit der Lampe in der Hand ging er die Stufen hinunter. Kein Gespräch, kein Klappern von Würfeln war zu hören. Omar wagte einen Blick in die Wachstube: Sie war leer. Als er in die Zelle am Ende des Ganges leuchtete, bestätigte sich seine Befürchtung: Bahir war fort.
Omar zwang sich zur Ruhe. Bahirs Verschwinden konnte alle möglichen Gründe haben. Vielleicht hatte Al Tufail ihn hinrichten lassen, vielleicht befand sich der Hüne bereits auf dem Weg zum nächsten Sklavenmarkt.
Oder
, dachte Omar düster,
er erzählt dem Hauptmann gerade vom Besuch, den er letzte Nacht bekommen hat ...
Voller Unruhe ging er zurück. Am Ende der Treppe blieb er stehen. Stimmen erklangen hinter der Tür. Omar spähte durch das Schlüsselloch. Zwei Männer unterhielten sich. Ihre Gesichter konnte er nicht sehen, und sie sprachen zu leise, um sie zu verstehen. Der Linke war in wallendes, schwarzes Tuch gekleidet. Al Tufail! Unwillkürlich wanderte Omars Hand zum Messer.
Wenige Augenblicke später war die Unterredung beendet, und der unbekannte Mann entfernte sich. Al Tufail öffnete die gegenüberliegende Tür und trat in den Korridor, die Fackel in der Hand. Omar wartete, bis das Fackellicht hinter der Gangbiegung verschwunden war, dann löschte er die Lampe und verließ sein Versteck. Alle Gedanken an Bahir waren vergessen, als er Al Tufail folgte. Der Edelmann war alleine und arglos – ein Messer im Dunkeln konnte jetzt alles beenden. Omar zog die Klinge.
Ich habe es einmal getan, ich kann es wieder tun.
Das Geräusch von Al Tufails Schritten wurde metallisch. Der Edelmann stieg in das Loch hinab, das sich am Ende des Ganges befand. Omar verharrte und spähte in den Schacht in der Wand. Wieder stellte sich das Gefühl der Beklemmung ein. Diesmal war Omar darauf vorbereitet. Wie er erwartet hatte, erschien wenig später am Ende des Schachts der Schein der Fackel.
Omar kniff die Augen zusammen; die Hitze und der beißende Gestank ließen sie tränen. Al Tufail tauchte die Fackel in ein kupfernes Becken. Eine Stichflamme schoss fauchend daraus hervor, und die Finsternis schwand. Der Edelmann befand sich in einem Gewölbe mit roh behauenen Wänden. Er entzündete drei weitere Becken, schob die Fackel in einen Halter und stellte sich auf einen quadratischen Stein, der eine Handbreit aus dem Boden herausstand. Um den Stein verlief ein schmaler Graben, gefüllt mit einer dunklen Flüssigkeit.
Al Tufail hob die Arme und stimmte
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