Flora Segundas magische Missgeschicke
Reinheit, hatte mich gegen eine der Säulen gelehnt, die die Hauptkuppel der Sanctuary School trugen, und warf den Tauben Brotkrumen zu. Der Platz der Vollkommenen Reinheit ist durch die Kuppel darüber vor der Sonne geschützt und die mächtigen Säulen halten einen Großteil des Windes ab. Es ist angenehm, hier zu sitzen und auf jemanden zu warten, was ein Glück war, weil ich bereits seit einer halben Stunde auf Udo wartete, der sich ungebührlich verspätete.
Udo hatte endlich den Hausarrest überstanden, den er sich eingebrockt hatte, weil er im Streit um das letzte Stück Tortilla seine fürchterliche Schwester Gunn-Britt auf die Nase geboxt hatte. Das hört sich ziemlich gemein an, aber Gunn-Britt ist ein Wadenbeißer und sie hat mit Sicherheit genauso viel ausgeteilt, wie sie einstecken musste. In der Landađon-Familie gibt es sieben Geschwister und sie streiten sich um alles. Sieben Kinder, eine Mutter und
drei Väter. Udos Familiengeschichte ist in ganz Califa berühmt, und es wurde sogar ein Theaterstück über sie geschrieben, wie Udos Mama von völlig ununterscheidbaren Drillingen umworben worden war und sich partout nicht für einen hatte entscheiden können. Sie heiratete alle drei. Udos leiblicher Vater kam im Gefängnis in Anahuatl um, wo auch Poppy inhaftiert war, aber immerhin blieben Udo ja noch zwei Väter.
Ich kenne Udo schon seit meiner frühesten Kindheit. Als ich zu groß wurde, um meine Mutter problemlos auf ihren Reisen zu begleiten, aber noch nicht groß genug war, um mit Poppy allein zu Hause zu bleiben, verbrachte ich viel Zeit im Casa Tigger, dem Heim der Landađon-Familie, wo es immer freundlich und lustig zuging, trotz – oder vielleicht wegen – all der Kinder. Casa Tigger ist keines der Großen Häuser und es gibt keinen Butler, aber es ist heimelig und sauber, und ich bin sehr gerne dort. Aber jetzt, da ich für Poppy den Babysitter spielen muss, ist es Udo, der zu mir kommt, um mir Gesellschaft zu leisten. Das hätte er auch diesmal getan, wenn nicht die blutige Nase von Gunn-Britt und der darauffolgende Hausarrest dazwischengekommen wären.
Obwohl Udos Schicksalsweg nicht zur Armee führt so wie meiner, sind seine Eltern in Bezug auf seine Zukunft genauso stur wie meine Mutter, und er ist mit ihren Plänen genauso wenig einverstanden wie ich mit denen des Oberhauptes der Fyrdraacas. Die Landađons sind alle Advokaten; Madama Landađon arbeitet für den Warlord, Major Landađon und Hauptmann Landađon für den Obersten Richter der
Stadt. Als Ältester soll Udo die Familientradition fortführen, aber er würde lieber in die Fußstapfen seiner frühesten Vorfahren treten – und die waren Piraten.
Seine Großmutter Gunn-Britt Landađon war unter dem Warlord über die Meere gefahren, früher, als der Warlord selbst noch ein Freibeuter gewesen war und noch nicht seinen kostbarsten Schatz – Califa – erbeutet hatte. Jetzt ist der Warlord ein Warlord, ein Kriegsherr, und kein Pirat mehr, und die Landađons sind auch keine Piraten mehr, sondern Advokaten, und die Piraterie ist gesellschaftlich nicht mehr anerkannt, sondern verpönt. Aber all das mindert nicht Udos dahin gehenden Ehrgeiz.
So, wie Nini Mo mein Vorbild ist, schwärmt Udo für den Schönen Jack, den berüchtigten Piraten, der in den Gewässern vor der Küste von Califa sein Unwesen treibt. Der Schöne Jack untergräbt die Autorität des Warlords und weigert sich, einen Kaperbrief anzunehmen, was bedeutet, dass er gehängt wird, sobald man ihn erwischt. Man nennt ihn den Schönen Jack, weil seine Manieren tadellos sind, ebenso wie seine Garderobe. Udo findet ihn fabelhaft.
Ich hatte Udo während der Mittagspause von Valefor erzählt und er wollte ihn selbst in Augenschein nehmen, also hatten wir uns nach der Schule verabredet, um gemeinsam nach Crackpot zu fahren. Was kein Problem gewesen wäre, hätte er sich nicht so gnadenlos verspätet, aber Udo kann einfach nicht pünktlich sein. Auch die unzähligen Strafarbeiten in der Schule konnten daran bislang nichts ändern.
Während ich wartete, dachte ich über das Eschatonomikon nach. Ich war die halbe Nacht lang wach
geblieben und hatte es von der ersten bis zur letzten Seite durchgelesen. Es ist in der Tat ein erstaunliches Buch, voller nützlicher Informationen und in einem freundlichen Ton geschrieben, als ob Nini Mo neben einem sitzen und wie mit einem Gleichgestellten reden würde. Meiner Erfahrung nach neigen Bücher über Magie dazu, geheimnisvoll und
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