Flora Segundas magische Missgeschicke
beginnen.«
Mama warf Poppy ihren schärfsten Blick zu, aber er erwiderte ihn nur gelassen.
»Du hast nie etwas davon gesagt«, wandte sie sich wieder an mich.
»Du hast mir nie die Möglichkeit dazu gegeben, Mama. Du hast mir nie das Gefühl gegeben, dass es dich interessiert, was ich will und was nicht.«
»Du kennst deine Pflicht, Flora.«
»Ayah, aber es gibt nicht nur einen Weg, seine Pflicht zu erfüllen, Mama.«
»Wir haben jetzt keine Zeit, diese Sache auszudiskutieren. Das ist eine ernste Angelegenheit, Flora.«
»Ich weiß, dass wir jetzt keine Zeit dafür haben, Mama, und das ist auch nicht schlimm. Ich musste es nur loswerden.«
»Also gut, Flora. Dein Einwand wurde zur Kenntnis genommen und wird zu einem späteren Zeitpunkt ausführlich besprochen werden.«
»Danke, Mama«, sagte ich erleichtert. »Das ist alles, worum ich bitte. Ich weiß, dass die Angelegenheit ernst ist und auch ernsthaft überlegt werden muss, aber das ist alles, was ich will – darüber reden.«
Nini Mo sagt, dass Reden nichts kostet und dass es die Taten sind, die zählen. Sie hat recht, aber mir wurde jetzt klar, dass man eine bestimmte Anzahl von Worten benötigt, um eine Tat zu vollbringen. Ich war zwar noch keine Waldläuferin und auch noch nicht endgültig der Kaserne entronnen, aber ich hatte etwas viel Schlimmeres abgewehrt – das Nichts. Ich war immer noch ich, und in diesem Augenblick fühlte es sich ziemlich gut an, ich zu sein – Flora Nemain Fyrdraaca ov Fyrdraaca.
Hinter Mamas und Poppys Kopf, über der Büste von Azucar Fyrdraaca, glitzerte kurz ein purpurfarbener Funken auf und verschwand ebenso schnell, wie er gekommen war.
Später.
S päter, nachdem wir in der Kalesche zum Offiziersklub gefahren waren, Mama, Poppy, ich und die Hunde, als ob wir eine richtige Familie wären (wobei Mama Poppy anstarrte, als ob sie ihren Augen nicht trauen könnte), mit der Eskorte samt meinen ganzen Geschenken im Schlepptau …
Später, nachdem ich meine Rede gehalten und meinen Eid geschworen hatte und vor dem Warlord – der sich glücklicherweise nicht mehr an mich erinnerte – in einen tiefen Knicks versunken war und seinen bierigen Kuss mit meiner Wange entgegengenommen hatte …
Später, nachdem Mama mich als erwachsene Frau anerkannt und mir meine Catorcena-Truhe übergeben hatte und nachdem die Geschenke geöffnet waren (über die ich mich zum größten Teil freute, außer über das rosafarbene Plüschschwein, das mir jemand geschickt hatte – als ob ich gerade vier statt vierzehn geworden wäre!) …
Später, nachdem mein Catorcena-Kuchen angeschnitten
und die Stücke verteilt worden waren, nachdem die Trinksprüche ausgebracht worden waren und mir jeder der Anwesenden gratuliert hatte, nachdem Flimmerfein und Schimmerschön einen Truthahn vom Büfett stibitzt hatten und von einer Horde aufgebrachter Kellner durch die Säle gejagt worden waren …
Später, nachdem ich mit dem Warlord getanzt hatte, der mir heftig auf die Zehen trat, und dann mit Mama, die so leicht wie eine Feder über das Parkett schwebte, und dann mit Poppy, der überraschend behände war und den ganzen Abend lang einen großen Bogen um die Punschschüssel machte …
Später, nach alldem, war ich auf der Toilette und versuchte herauszufinden, wie man mit diesen ballonartigen Röcken in einen derart engen Raum passt. Da fiel mir das kleine Kästchen ein, das mir Poppy am Ende unseres Tanzes in die Hand gedrückt hatte. Ehe ich die Chance gehabt hatte, es zu öffnen, war Udo herangerauscht und hatte mich zu einer Mazurka mitgerissen. Nach Udo kamen Leutnant Sabre und ein Walzer und dann wieder Udo, und da hatte ich das kleine Kästchen ganz vergessen.
Jetzt zog ich es aus der Tasche. Das Kästchen war aus abgewetztem roten Leder und mit einer kleinen goldenen Spange verschlossen. Im Inneren lag eine Plakette aus angelaufenem Silber auf einem Bett aus zerknautschtem Samt. Es war nicht die Identifikationsplakette eines Zivilisten, wie diejenige, die Idden und ich laut Mama stets bei uns tragen müssen, sondern eine richtige Armeeplakette mit rauchgrauem und dunkellila Email – die Art, die ein Soldat um
den Hals trägt, damit man weiß, wohin man die Leiche schicken soll.
Auf einer Seite prangte das Zeichen des Waldläuferbataillons, das Wachsame Auge.
Auf der anderen Seite stand der Name des Besitzers:
REVERDY ANACREON FYRDRAACA OV FYRDRAACA.
Poppy.
cbj
ist der Kinder- und Jugendbuchverlag
in der Verlagsgruppe Random
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