Flora Segundas magische Missgeschicke
größte Waldläuferin, die je gelebt hat, konnte ihre Gedanken nach innen wenden, und wenn sie sie wieder nach außen kehrte, war sie jemand völlig anderes. Nini Mo, wie jeder sie nannte, konnte Zeichen in der Luft lesen, die Gedanken anderer Menschen riechen und zerbrochenes Glas zum Brennen zwingen. Sie war eine große Meisterin der Zauberkunst, die die Magische Strömung ihrem Willen unterwarf und die Magie benutzte, um ihre Ziele zu erreichen.
Als der Krieg anfing, organisierte Nini Mo ein Bataillon aus Waldläufern, das Augen und Ohren der Armee war, das dorthin ging, wo kein Soldat sich hinwagen konnte, und das mit Geschick, Klugheit – und Magie – Schlachten gewann, die nicht mit Gewehren und Schwertern geschlagen wurden. Niemand außer Nini wusste, wer die Waldläufer waren, und diese Geheimhaltung machte sie zu tödlichen Waffen. Als aber der Friedensvertrag mit dem Huitzil-Imperium geschlossen wurde, bestanden unsere Gegner darauf, dass das Bataillon der Waldläufer aufgelöst
wurde. Sie wurden entlassen; manche wurden gefangen genommen, manche getötet. Man sagt, dass es heute keinen von ihnen mehr gibt, aber das glaube ich nicht. Waldläufer sind raffiniert und schwer zu fangen, wie Kojoten, und ich bin mir sicher, dass einige von ihnen davongekommen sind.
Ich kann also keinem Waldläufer-Bataillon beitreten, aber ich kann trotzdem eine Waldläuferin sein, auch ganz allein, weil Waldläufer ja sowieso immer Einzelgänger sind. Warum also sollte ich nicht meine Mutter zufriedenstellen, der Familientradition folgen und mich in der Benica-Kaserne melden? Ich könnte nach außen hin Soldatin sein und Waldläuferin im Verborgenen. Warum nicht?
Weil Soldaten keine Magie ausüben, deshalb. Die Meister der Magie stehen mit einem Fuß in der wirklichen Welt und mit dem anderen im Anderswo, und das verträgt sich nur schwer mit militärischer Disziplin. Magier sind zuallererst ihrer Kunst verpflichtet und erst in zweiter Linie dem Warlord – wenn überhaupt. Die Magie ist ehrlos, und ein Soldat, so sagt meine Mutter, ist ohne Ehre nichts. Ein Soldat, der sich mit der Magischen Strömung einließe, würde auf der Stelle erschossen.
Ich kann also nicht gleichzeitig Soldatin und Waldläuferin sein. Aber ich traue mich nicht, Mama zu sagen, dass ich nicht in die Kaserne gehen will. Meine Mutter erhebt nie ihre Stimme und sie droht auch niemals, aber ihr Missfallen schmerzt, und sie erwartet unbedingten Gehorsam mit einer Selbstverständlichkeit, die dazu führt, dass ihr tatsächlich jeder gehorcht. Seit Generationen wurden alle Fyrdraacas
in der Kaserne ausgebildet, einschließlich der Hunde. Mein ganzes Leben lang hat meine Mutter von Pflichterfüllung gesprochen und wie wichtig es ist, der Familienehre und dem Land die Treue zu halten.
Selbst wenn es bedeutet, dass man sich selbst untreu wird.
Kapitel 1
Die Generalin. Verschlafen. Ein überfälliges Leihbuch. Der Fahrstuhl.
A ls Oberbefehlshaberin über die Armeen Califas trägt meine Mutter für so ziemlich alles die Verantwortung, also lässt sie sich nicht oft zu Hause blicken – sie ist ständig auf Inspektionsreisen, bei Manövern oder bei irgendwelchen Verhandlungen. Oder sie arbeitet einfach bis spät in die Nacht. Deshalb kümmert sie Crackpots Verfall herzlich wenig. Auch Idden hat das Glück, ihn nicht miterleben zu müssen, selbst wenn sie momentan in Fort Jones stationiert ist, am hintersten Ende von Nirgendwo. Wenigstens hat sie jemanden, der ihr die Wäsche macht und ihr das Essen kocht.
Die meiste Zeit sind nur Poppy und ich zu Hause, was eigentlich bedeutet, dass ich mutterseelenallein bin, weil Poppy nur dann aus seinem Verschlag kommt, wenn er keinen Schnaps und keine Zigarren mehr hat. Dann schiebt sich der dünne Schatten, zu dem er geworden ist, in einem zerschlissenen Kadettenschlips und einem blutbefleckten Gehrock zur Hintertür hinaus, um sich mit dem Nötigsten zu
versorgen. Er zählt eigentlich nicht als Hausbewohner. Also muss vor allem ich mich mit all den Unbequemlichkeiten herumschlagen.
Wenn Mama tatsächlich einmal zu Hause ist, steht sie kurz nach dem finstersten Augenblick der Nacht auf und weckt mich. Dann findet ein Familienfrühstück statt. Was natürlich kein richtiges Familienfrühstück ist, weil Poppy nicht da ist und Idden auch nicht und die erste Flora erst recht nicht. Nur Mama und ich sitzen da, eine halbe Familie, ein halbes Familienfrühstück. Und weil das alles ist, was wir erwarten dürfen, müssen
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