Florentinerpakt
ersten vier Ausgaben der deutschsprachigen Micky Maus. Herwig
Nestler wieder verabschiedete sich nur zu gerne von einem hübschen, kleinen
Schmuckkästchen aus Silber, das er als Erinnerungsstück an seine Großmutter
erhalten hatte. Als nüchterner Pragmatiker frei von irgendwelchen nostalgischen
Gefühlen, trennte er sich ziemlich leicht von dem unpraktischen Zeug, dessen
Schlüssel noch zu Omas Lebzeiten in Verlust geraten war.
*
»Ich selbst bin vor der Wahl gestanden, mich von
meiner geliebten Münzensammlung zu trennen oder zumindest von einigen Stücken
davon«, berichtete Axel. »Oder etwas anderes zu finden. Mangels irgendwelcher
speziellen Neigungen oder Hobbys meiner Eltern gab es bei uns zu Hause keine
sonderlich wertvollen Dinge. Ja, silberne Kerzenleuchter, Besteck aus
Sterlingsilber oder Meissner Porzellanfiguren und solches Zeug schon, aber
nichts wirklich Originelles mit einigem Wert. Dann sind mir die
Kriegserinnerungsstücke meines Großvaters eingefallen.«
Der war Oberstleutnant bei der Deutschen Wehrmacht und ein
strammer Militarist gewesen. Angeblich kein Nazi, aber durchaus ein Mann,
dessen Ehre Treue geheißen hatte.
Nach dem Tod des alten ›Preußen‹, wie Rossbach ihn
scherz-schmerz-haft bezeichnete, lagen seine Pistole, sein Koppel und ein
angeblich wahnsinnig wichtiger Orden mehr oder weniger unbeachtet in einem
alten Schuhkarton. Rossbach, der mit diesem Zeug so absolut nichts anfangen
konnte, ja, in ihm eher eine Manifestation des Bösen verstand, sah die Chance
gekommen, mit einer Klappe gleich zwei Fliegen zu erledigen. »Ich habe gewusst,
dass dieser Krempel durchaus einen Sammlerwert hat, und mir gedacht, der wird
in 30 Jahren sicher noch höher sein.«
Und so landeten Großvaters Luger Parabellum P 08 und der
übrige alte Mist als Axels Beitrag in der Tontine.
»Das ist ja eine höchst interessante Mischung, die sich da
ergeben hat«, anerkannte Palinski. »Aber ich sehe a priori nichts, das so
wichtig oder wertvoll wäre, dass man deswegen jemanden umbringt.«
»Außer in der Mappe mit den Zeichnungen befand sich ein
echter Dürer oder etwas vergleichbar Einzigartiges«, warf Rossbach eher
scherzhaft ein, womit er aber auch nicht ganz unrecht hatte.
»Es muss ja nicht gleich ein Dürer sein«, entgegnete
Palinski. »Auch ein echter Klimt oder Schiele hätte bis heute eine enorme
Wertsteigerung erfahren. Aber auch unter den Briefmarken könnten sich einige
wertvolle Stücke befinden. Sie wissen nicht, was diese Mappe tatsächlich
beinhaltet hat?«
»Wir haben den Stapel zwar kurz durchgesehen«, räumte der
Zahnarzt ein. »Aber falls etwas Wertvolles dabei war, ist es zumindest mir
nicht aufgefallen.« Er lachte verschämt. »Ich kenne mich mit Kunst überhaupt
nicht aus.«
»Gibt es vielleicht irgendwo so etwas wie eine Inventarliste
des Metallkoffers, ein Protokoll oder etwas in der Art?«, wollte Palinski jetzt
wissen. »Das könnte hilfreich sein.«
»Ja, die gibt es«, räumte Rossbach ein, aber vorschnelle
Freude darüber war nicht angebracht. »Doch die liegt im Koffer bei den
Gegenständen.«
»Das ist nicht gut, führt uns aber direkt zur nächsten Frage.
Wo befindet sich dieser Metallkoffer eigentlich?«
*
Die Verschiedenartigkeit und auch
-wertigkeit der für die Tontine vorgesehenen Gegenstände führten in der Folge
zu teilweise heftigen Diskussionen zwischen den ›Sieben‹. So fand das
schlüssellose Schmuckkästchen, in dem sich allerdings auch etwas zu befinden
schien, zunächst nur wenig Akzeptanz. Vor allem aber die Devotionalien aus der
dunkelsten Epoche des 20. Jahrhunderts stießen bei den durchwegs pazifistisch
oder zumindest antimilitaristisch eingestellten jungen Männern zunächst auf
strikte Ablehnung.
Erst als sich Friedrich ›Rutzi‹ Rutzmann für Axel
Rossbachs Beitrag starkmachte und den anderen erklärte, dass diese skurrilen
Erinnerungsstücke schon jetzt einen erheblichen Wert besaßen und in Zukunft
noch zulegen würden, wurde der Karton mit den unguten Memorabilien akzeptiert.
Als Nächstes wurde das ursprünglich vorgesehene Vergraben
des Koffers von der Mehrheit abgelehnt. Herwig Nestler, der den Platz neben dem
geheimen Grab seines Schäferrüdens Oleg im Garten des Landhauses seiner Eltern
in Mönichkirchen dafür angeboten hatte, war richtig enttäuscht. Vor allem auch
über den ihm gegenüber damit zum Ausdruck gebrachten Mangel an Vertrauen, den
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