Florentinerpakt
er zu erkennen glaubte.
Misstrauen spielte von
jetzt an überhaupt eine wesentliche Rolle in der Beziehung der ›Sieben‹
untereinander. Die ›geniale‹ Idee mit der Tontine hatte vor allem eines
bewirkt: Sie hatte die ehrliche und offene Denkungsart, die die Gruppe bisher
ausgezeichnet hatte, mit einem Schlag weggefegt und gegen Neid, Eifersucht und,
ja, eben Misstrauen ausgetauscht. Man könnte auch sagen, die Idee der Tontine
kennzeichnete den Abschied der ›Sieben‹ von ihrer Jugend und markierte ihren
Eintritt in die mitunter höchst unerfreuliche Welt der Erwachsenen. Wo vorher
noch unbeschwerte Großzügigkeit des Denkens und Handelns die Regel gewesen war,
herrschte plötzlich kleinliches Feilschen um persönliche Vorteile und die latente
Angst davor, von den anderen ›beschissen‹ zu werden.
An diesem Abend konnten sich die ›Sieben‹ lediglich auf
einen kleinsten gemeinsamen Nenner einigen. Und der sah vor, am nächsten Tag zu
Notar Dr. Wieselberger in der Krottenbachstraße zu gehen und einen hieb- und
stichfesten Vertrag über die Tontine aufsetzen zu lassen.
Dann gingen die ›Sieben‹ freudlos auseinander. Das erste
Mal in ihrer Geschichte, ohne noch einen Abschiedsschluck auf ihre Freundschaft
und das Leben genommen zu haben.
An diesem Abend hatte, ohne dass sie es gewollt oder
zunächst auch nur geahnt hätten, eine neue Phase ihres Lebens begonnen. Erst
viel später sollte ihnen bewusst werden, was sie damit verloren hatten.
*
»Haben Sie noch Kontakte zu den übrigen
›Sieben‹?«, interessierte sich Palinski jetzt.
»Nachdem wir den Vertrag beim Notar ausgefeilscht hatten«,
Rossbach machte dabei ein Gesicht, als ob er gerade eine extrem saure Zitrone
ausgelutscht hätte, »war auch der letzte Dampf aus unserer Runde draußen. Wir
haben uns dann noch über die Monate bis zur Matura hinweggeschwindelt und so
getan, als ob wir nach wie vor die engsten Freunde wären. In Wirklichkeit hat
es aber nicht einmal mehr für gemeinsame Prüfungsvorbereitungen gereicht. Jeder
hat für sich gebüffelt und eifersüchtig darauf geachtet, die anderen
auszuschließen.« Er seufzte tief. »Die Tontine, die den ›Sieben‹ ein Leben über
die Schule hinaus sichern sollte, hat sie an einem einzigen Abend umgebracht.«
Nachdem alle ihre Abschlussprüfung hinter sich gebracht
hatten, war die Gemeinschaft auch formell den Bach hinuntergegangen. »Wir haben
einander später zwar noch gelegentlich getroffen, aber nie mehr wieder alle
sieben gemeinsam. Und die dabei geführten Gespräche hatten immer nur die
verkrampft-normierte Qualität eines Klassentreffens. Die sonstigen Kontakte
haben sich auf lieblose Weihnachtsgrüße und gelegentliche Zweier- oder auch
Dreiertreffen mit unverbindlichen Inhalten reduziert. Aber das ist auch schon
lange vorbei.« Unmerklich schüttelte er den Kopf. »Herwig ist acht oder neun
Jahre nach der Matura an Krebs gestorben. Von Jakob habe ich zuletzt eine Karte
aus Sydney bekommen, und über Friedrich habe ich durch Zufall in der Zeitung
gelesen. Er ist vor ungefähr zwei Jahren unter eigenartigen Umständen bei der
Jagd erschossen worden. Von den anderen weiß ich überhaupt nichts.«
Rossbach schluckte einige Male, drehte sich zur Seite und
fuhr sich dann über die Augen. »Eigentlich schade, wir sind einmal eine
wirklich klasse Truppe gewesen.«
5
Nachdem jetzt endlich die ersten Ergebnisse aus
dem Labor vorlagen, sah die Situation für Garber noch unerfreulicher aus als
vorher. Das in Marlene Mattig gefundene Sperma stammte eindeutig vom
Filialdirektor der ›Kreditbank Austria‹ in der Obkirchergasse. Da sich der Mann
nicht erinnern konnte und die Tat daher nicht zugegeben, aber auch nicht
bestritten hatte, war die Sache für Inspektor Musch klar. Wieder ein Fall
gelöst, und das in Rekordzeit. Das bedeutete neuerlich Pluspunkte in Hinblick
auf eine im Laufe des nächsten Jahres mögliche Beförderung.
Dass nicht nur der Laborbericht, sondern die ganze Sache
einige Ungereimtheiten aufwies, störte Musch nicht weiter. In fast schon
pervertierter Abwandlung der alten britischen Weisheit vom ›Abwarten und
Teetrinken‹ hoffte er, nein, verließ er sich darauf, dass sich die kleinen
störenden Ecken und Kanten auf dem Weg zur Staatsanwaltschaft oder spätestens
bis zum Gericht schon von selbst abschleifen würden.
Das Erste, was er jetzt machen musste, war, einen Haftbefehl
zu besorgen. Oder
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