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Florentinerpakt

Florentinerpakt

Titel: Florentinerpakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner Verlag
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Variante der Aussprache des an sich eher scharfen Buchstabens »s« so belustigen
konnte, wie das so viele Menschen taten und ihren ›Winnie‹ damit verletzten.
    Obwohl die beiden rein äußerlich so gar nicht
zusammenzupassen schienen, sie war mit mehr als 1,80 doch eher groß und
kräftig, nicht mollig, aber doch athletisch, er einen halben Kopf kleiner und
eher zierlich gebaut. Ein bisschen sah er wie Dustin Hoffman in ›Die Reifeprüfung‹
aus, fand sie und fühlte sich dabei wie Anne Bancroft. Nur jünger halt.
    Beide hatten in ihrer Jugend unter dominanten Vätern
gelitten, die die jugendlichen Herzen und Seelen verkorkst hatten. Dazu kam
noch, dass Tatjanas Vater der knapp Dreijährigen beim Putzen seiner Pistole
versehentlich die Fingerspitze und das erste Glied des kleinen Fingers der
rechten Hand abgeschossen hatte. Diesen Schock hatte die Frau bis heute nicht
vollständig überwunden.
    Auch ›Winnies‹ Vater war ein Schwein gewesen, aber im
Gegensatz zu ihrem Alten, der sabbernd und verwirrt in einem Pflegeheim
dahinvegetierte, schon lange ›heimgegangen‹, wie ihr Freund den Mord
euphemistisch zu bezeichnen pflegte. Der bekannte Anwalt war vor 13 Jahren in
Wien erschossen und ausgeraubt worden, als er eines Nachts bei einem
Geldausgabeautomaten angehalten hatte, um sich ein wenig Bares für die Nutten
zu besorgen.
    Die beiden hatten jetzt den Dachboden über der 2. Stiege
erreicht. Nachdem er bei der Baupolizei in Erfahrung gebracht hatte, dass die
vier Stiegen des alten Großbürgerhauses über den Dachboden als Fluchtweg
miteinander verbunden waren, war auch klar gewesen, wie sie, ungesehen von
diesem komischen Institutsmenschen auf Stiege 4, in Rossbachs Ordination
gelangen konnten. Sie hatten gewartet, bis jemand aus der 4. Stiege gekommen
war, waren durch das nun geöffnete Tor ins Stiegenhaus gelangt und mit dem Lift
nach ganz oben gefahren. Da bei einem Fluchtweg alle Türen offen sein mussten,
war der Rest nur mehr ein Kinderspiel gewesen.
    Und so betraten sie jetzt völlig ungehindert die
Zweier-Stiege und machten sich leise und vorsichtig auf den Weg hinunter in den
2. Stock. Ehe Winnie die Türe mit sanfter Gewalt öffnete, klingelte er
vorsorglich, um zu sehen, ob nicht doch bereits jemand in der Ordination war.
Obwohl die Sprechstunden erst in mehr als zwei Stunden beginnen sollten. Und er
war gut beraten damit, denn fast sofort öffnete Bärbel, die langjährige Sprechstundenhilfe
Rossbachs, die Türe. Sie war heute früher gekommen, um vor den Feiertagen noch
einigen Papierkram wegzuarbeiten.
    »Tut mir leid«, Bärbel wollte die beiden schnell abschasseln,
um wieder an ihre Arbeit zurückzukommen, »aber der Herr Doktor kommt erst um
14 Uhr.«
    »Aber dath macht doch nichtth«, meinte Winnie freundlich,
drückte die Türe einfach auf und stieß die perplexe Sprechstundenhilfe ins
Innere. Mit einem Messer in der Hand dirigierte er die vor Schreck erstarrte
Bärbel zum Telefon. »Jetzt rufen Thie schnell Ihren Doktor an und fordern ihn
auf, thofort hier thu erscheinen. Thagen Thie ihm einfach, jemand«, er
überlegte, »von der Ärthtekammer will ihn dringend thprechen. Ein Notfall. Und
kein falscheth Wort, thontht …« Er überließ es Bärbels Fantasie, ihr
ausreichend Angst zu machen.
    Nach dem erzwungenen Telefonat verpasste Tatjana der
Sprechstundenhilfe kurz und fast schmerzlos das dafür vorbereitete Jauckerl.
Zwei Minuten später hing die Gute bereits leicht schnarchend in einem der
beiden bequemen Fauteuils im Wartezimmer.

     
    *

     
    Anni Enigler war der Mann, der bereits kurz nach
8 Uhr das erste Mal aufgetaucht war, sofort aufgefallen. Irgendetwas an
der Art, wie er dastand, die Hände bewegte, mit dem Kugelschreiber am
Kundenpult spielte, kam ihr bekannt vor. Bekannt nicht in dem Sinn, dass ihr
dieser Mensch irgendwie nahestand, sondern nur, dass er ihr schon einmal über
den Weg gelaufen war.
    Und obwohl ihr der Gedanke an den Kerl wie eine Klette im
Gehirn haften blieb und sie ständig überlegte, wo sie das Gesicht hintun
sollte, fiel ihr partout nicht ein, wer er war. Als ihr Kopf dann endlich
wieder frei für anderes war, war ›Mr. Mysterious‹ noch einmal in die Filiale
gekommen. Diesmal begnügte er sich nicht mit dem Beobachten der Vorgänge in der
Filiale, sondern er trat auch an die Kasse und ersuchte den Kollegen, einen
größeren Schein zu wechseln. Während der Kassier die Scheine hinzählte

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