Florian auf Geisterreise
Tante. „Es muß nicht alles logisch sein. Dabei ist es eigentlich sogar logisch. Frau Zwiebelfisch lebt allein und sucht einen Mann. Dein Vater wäre genau ihr Typ. Weil er aber ihr gegenüber sehr zurückhaltend ist, meint sie, das müsse daher kommen, daß sie ihn mit ihrer direkten Art irgendwie einmal gekränkt habe. In diesen Gedanken hat sie sich so hineingesteigert, daß sie jetzt glaubt, er habe ihr mit dem Streich einen Denkzettel verpassen wollen.“
Was es nicht alles gibt! dachte Florian, fand die Gedanken von Frau Zwiebelfisch aber nicht interessant genug und brachte die Rede auf seinen Großvater.
„Was, der war hier, der alte Geizkragen?“ wunderte sich die Hellseherin.
Florian berichtete von dem Klassenausflug und dem Festessen.
„So, so“, sagte sie nur und wechselte ihrerseits das Thema. „Der Regisseur, den du mir gebracht hast, ist ein besonders netter Mann. Aber anstrengend! Ich hatte größte Mühe, ihn... Entschuldige mal.“ Sie legte die Hände an die Schläfen, wie sie es zu tun pflegte, wenn sie sich konzentrierte. Doch starrte sie nicht auf die Kristallkugel, die auf dem kleinen Tisch neben dem Eßtisch lag, sondern hielt die Augen geschlossen. Draußen in der Diele klirrte Glas, und ein Laut der Verzweiflung wurde hörbar. Da schlug sie die Augen wieder auf, strahlte zufrieden, griff nach Messer und Gabel und fuhr fort. „Ja, also, ich hatte große Mühe, ihm auszureden, mich in einen Film einzubauen. Als Hellseherin natürlich...“
„Was war denn das eben?“ wollte Florian wissen.
„Ach, nichts weiter“, sagte sie leichthin. „August ist zu seinem Wandschrank geschlichen. Da hab ich ihm die Flasche aus der Hand geschlagen. Das mache ich ab und zu. Er trinkt sonst zuviel, und das schadet seiner Gesundheit.“
„Telekinese!“ Florian starrte sie an. „Kannst du das auch mal bei mir?“
Statt einer Antwort schloß sie kurz die Augen, und ehe er sich’s versah, fiel ihm das Messer aus der Hand. Ganz einfach so, ohne daß er die Fingermuskeln entspannt hätte. Florian erschrak nicht einmal und sagte, während er es aufhob: „Das muß eine Mischung aus Telekinese und Hypnose sein! Ich verstehe nur nicht, warum du dich für August so anstrengst. Das kostet doch viel Konzentrationskraft. Warum sagst du ihm nicht einfach Bescheid?“
„Weil das keinen Sinn hätte!“ antwortete die Tante. „Rüge ich ihn, wird er muffig und trinkt nur noch mehr. Läßt er eine Flasche fallen, glaubt er, bereits die Kontrolle zu verlieren und trinkt nichts mehr.“
Florian kam ein anderer Gedanke dazwischen. „Übrigens, dieser Kriminaler, dieser Oskar Kollo, will dich demnächst besuchen. Ich soll dir einen schönen Gruß bestellen.“
„So?“ sagte sie überrascht. „Da bin ich ja gespannt.“
Florian legte das Messer weg. Diesmal mit Absicht. „Also, jetzt komme ich nicht mehr mit. Erst machst du die tollsten Kunststücke und dann tust du, als wärst du überrascht!“
Belustigt musterten ihn die grünen Augen. „Das ist doch logisch“, sagte sie. „Ich möchte ausruhen! Ich sehne mich manchmal richtig nach Überraschungen und zwinge mich, nichts zu sehen, um die Vorfreude zu genießen. Die ist sehr wichtig im Leben! Aber laß dir weitererzählen: Dieser Regisseur wollte mich also unbedingt in einem Film mitwirken lassen. Er war von seiner Idee so besessen, daß ich ihm Angst machen mußte. Ich habe ihm einen inneren Befehl eingepflanzt. Immer wenn er an den Film mit mir denkt, wird ihm schlecht. Ich hab’s ihm auch gesagt, und es ist ihm schlecht geworden. Noch ein paarmal wird er’s versuchen und es dann lassen. Hellsehen gehört nicht ins Kino!“
Eine Weile redeten sie nichts. Florian kam, ohne es zu wollen, zu merkwürdigen Kombinationen. „Mit deinen Fähigkeiten kannst du eigentlich jeden Staat lahmlegen, Tante. Es kommen keine Verträge mehr zustande, weil den Unterzeichnern die Federhalter aus den Händen fallen, Motoren springen nicht mehr an, oder du schaltest den Strom ab im ganzen Land
„Das wär mir zu anstrengend!“ Sie lachte. „Außerdem darf man mit diesen übersinnlichen Fähigkeiten nicht tun, was man will. Man darf damit nur helfen.“
„Wer sagt das?“
„Charlie. Außerdem merkst du’s sehr bald, wenn du sie hast.“ Florian staunte nur noch. Das war das Faszinierende an Tante Thekla! Wo erfuhr man denn solche Dinge aus heiterem Himmel? Mochten Jens, Uwe oder Jörg in den Ferien mit ihren Eltern noch so weit wegfahren, die höchsten
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