Florian auf Geisterreise
Grenzwald ist doch immer was los! sagte er sich. Jetzt fehlte nur noch der Fahrer. Vielleicht ist das gar nicht ungefährlich, ihn zu suchen? fiel ihm ein. Wenn da wieder einer wildert?
Doch er sehnte sich genauso nach Überraschung wie seine Tante und schlich an dem Feuerstuhl vorbei weiter zur Lichtung. Von dort ertönte ein Schlagen und Ächzen und Rauschen in den Wipfeln. Wenige Meter vor der Lichtung bewegte sich ein Baum, neigte sich um einige Grade zur Seite und blieb stehen. Wie der Schiefe Turm von Pisa. Seine Krone hatte sich in zwei Bäumen verfangen, die die Lichtung begrenzten. Geduckt bewegte sich Florian weiter. Da mußte doch jemand sein!
Am Rand der Lichtung befand sich ein kleiner Hügel mit einer Bank darauf. Dorthin liefen zwei jüngere Männer in hohen Stiefeln und Lederjacken. Der eine trug eine Säge und ein Seil, der andere eine Axt in der Hand. Sie rannten den Hügel hinauf, setzten sich auf die Bank, schauten zu dem schiefen Baum hinüber und lachten.
So blöde Typen soll’s ja geben, die das komisch finden! kombinierte Florian. Dabei fiel ihm der schwitzende Oskar ein. Wenn der hier wäre, würde er sofort eine Untat wittern und die beiden vernehmen!
Allein die Vorstellung von Augusts Freund genügte, um Florian gegenteiliger Meinung sein zu lassen: ein Rowdyspaß. Der Feuerstuhl paßte dazu.
Leise, wie er gekommen war, verließ er das Dickicht, bog von der Reifenspur ab und nahm mit einem mächtigen Langspurt den Anstieg zum Aussichtsturm, wie er es vorgehabt hatte.
„Du warst aber lange weg!“ Ein wieder versöhnter August lächelte ihm an der hinteren Küchentür entgegen. Verschwitzt und atemlos wie er war, und nicht zuletzt wegen der dummen Bemerkungen, mied Florian den Vordereingang.
„Gleich!“ hauchte er und nahm mit einem allerletzten Spurt die beiden Treppen. August hatte recht. Bis er geduscht und umgezogen auf der Eckbank beim Frühstück saß, waren anderthalb Stunden vergangen.
Wie gewohnt, kam Agathe mit dem Tablett herein. „Da bist du ja! Madame hat schon nach dir gefragt. Ich habe gesagt, du trainierst.“
„Hast du das geträumt?“ Florian grinste. „Als ich weg bin, warst du noch nicht auf.“
Sie schüttelte den Kopf. „Ich hab aus dem Fenster geschaut, da bist du grad in Richtung Waldweiher verschwunden.“
„Hellseherin!“ Er biß ins Marmeladenbrot. „Was wollte denn meine Tante?“
„Wir fahren nach dem Mittagessen nach Neustadt“, sagte Agathe. „Wir zwei. Mit ihrem Wagen.“
Florian fiel die Kinnlade herunter. „Bringst du mich nach Hause? Jetzt schon?“
„Hellseher!“ gab sie zurück und lachte laut. „Einkäufen müssen wir! Das teure Zeug für den Schulausflug.“
Auf der Fahrt konnte er endlich mit ihr über alles sprechen, was ihn beschäftigte.
Agathe fuhr sehr gut. Sie schaltete viel und mußte so gut wie nie bremsen. Als er sie dafür lobte, sagte sie: „Das hab ich von deiner Tante gelernt. Mal geht alles glatt, mal gibt’s dauernd Hindernisse. Nach dieser Grundstimmung muß man sich richten. Am liebsten fahr ich ja Motorrad. Fridolin auch. Heut hab ich eine Maschine gesehen, ein Traum! Wassergekühlt, mit vier Auspuffrohren. Sie kam bei uns vorbei, mit zwei...“
„Die hab ich auch gesehen! Bei meinem Trainingslauf“, fiel er ihr ins Wort. Da mußte sie scharf bremsen. Der Fahrer eines Traktors mit Anhänger bog seelenruhig aus einem Feldweg in die Hauptstraße ein.
In Neustadt fuhren sie an der Wohnung der Eltern vorbei. Im Wohnzimmer war ein Fenster offen, aber der Wagen stand nicht vor dem Haus.
Dann ist nur meine Mutter da! Die lüftet immer, kombinierte Florian.
Agathe kannte sich gut aus. Ohne seine Hilfe fand sie die richtige Einbahnstraße ins Zentrum und sogar eine Parklücke auf dem Platz. Gegenüber lag neben dem Frisiersalon „Annegret“ von Frau Zwiebelfisch und der Konditorei „Capri“ Feinkost Oberhummer, das teuerste Delikatessengeschäft der Stadt.
Frische Hummer von Oberhummer! lautete ein Spruch, der seit Jahr und Tag im Schaufenster hing.
Zwischen den abgestellten Wagen schlängelten sie sich durch. „Das ist ja unserer!“ Florian klopfte auf ein Blechdach. Die Nummer hatte er sich schon angesehen. Ungewöhnlich war das nicht. Doch jetzt paßte er auf, sah sich nach allen Seiten um, während Agathe dem Feinkostladen zustrebte.
Vor dem Café Capri saßen Gäste unter Sonnenschirmen, wie draußen vor der Pension Schicksal. Unter ihnen — Florian wußte nicht, wieso er das gleich
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