Florian der Geisterseher
tut’s auch leid, Flori “, sagte die Tante. „Aber du kommst ja wieder. Noch sehr oft!“ Sie streichelte seine Hand. „Geh jetzt und sag der Dame draußen an Tisch drei, ich lasse bitten!“
Florian führte den Auftrag aus.
Die Dame sagte auch gleich etwas besonders Dummes: „So, machst du dich nützlich?“
Doch er hörte nicht hin, ging hinauf in sein Zimmer, um erst einmal zu verarbeiten, was er soeben erlebt hatte. Die Arme hinter dem Kopf verschränkt, lag er auf dem Bett und sagte sich immer wieder: Ich bin also medial begabt! Aber woran merke ich das?
Er versuchte sich auf Onkel Charlie zu konzentrieren, in der Hoffnung, daß der ihm helfen werde. Doch der dachte gar nicht dran. Also verlegte Florian seine Grübeleien in den Wald. Er nahm die Trompete mit und das Wichtigste überhaupt: den Zettel. Während er blies, mußte er immer wieder daran denken, daß sein Vater ihn abholen würde. Doch er fand keine Einstellung dazu. Die unmittelbar bevorstehende Wirklichkeit blieb merkwürdig verschwommen.
Kündigte sich hier bei ihm die Langeweile an, die Tante Thekla beim Vorauswissen empfand? Er wußte ja, sein Vater würde ihn abholen. Doch er wußte auch, es war nicht sein letzter Besuch in der Pension Schicksal. Und vor allem wußte er, daß er der bevorstehenden Mathearbeit gewachsen war.
Nur eines wußte er nicht: Wie er’s anstellen sollte, um seine mediale Begabung auszubauen. Er legte die Trompete weg, schloß die Augen und konzentrierte sich: Agathe soll kommen! Sie soll jetzt hierherkommen! sprach er tonlos vor sich hin. Da sie nicht kam, ging er zu ihr in die Küche. Auf der Eckbank saß August und trank einen Kaffee, der so stark duftete, wie es sonst in seiner Nähe nach Schnaps roch.
Ohne von Florian Notiz zu nehmen, stöhnte er: „Ich hab mindestens drei Köpfe auf!“
„Sieben“, antwortete Agathe. „Genau sieben. Von jeder Flasche einen!“
Florian hatte sich ans andere Bankende gesetzt. Agathe legte ihm die Hand auf die Schulter, zwinkerte ihm zu, und sie beobachteten, wie August den Kaffee trank.
Gute Gelegenheit für einen weiteren Versuch! Florian konzentrierte sich: Er soll austrinken und gehen! Er soll austrinken und gehen!
Als August jedoch keinerlei Anstalten machte, sich zu erheben, überlegte er: Vielleicht ist es mit Betrunkenen besonders schwer? Tante sagt ja, Trinker werden stumpf.
Das Spiel ließ ihn nicht los. Beim Mittagessen fragte er sie direkt: „Du hast gesagt, ich sei medial begabt. Wie kann ich das trainieren?“
Er hatte mit einem Lächeln gerechnet. Doch sie nahm ihn ernst. „Vielleicht hätte ich besser ,sensitiv’ sagen sollen. Mit den Wörtern ist es schwierig in diesem Bereich, wo man nicht mehr mit Sprache spricht. Aber sagen wir so: Du bist sehr empfänglich für alles Paranormale, für alles Übersinnliche. Das spüre ich. Du fühlst beim Denken und denkst beim Fühlen. Du kombinierst. Die meisten Menschen tun entweder nur das eine oder das andere. Wenn du trainieren willst, sage ich dir: trainiere nicht. Erzwinge nichts. Lasse geschehen. Bleib bei dem, was dir gerade in den Sinn kommt, ohne gleich wieder abzuschweifen. Und warte nicht auf Erfolge. Wenn du dich konzentrierst, achte darauf, daß du körperlich nicht angespannt bist. Was kommt, kommt von allein. Mehr kann ich dir nicht sagen.“
Nach dem Essen half er Agathe in der Küche stumm und versonnen. Vielleicht geht’s am Anfang leichter, wenn der andere Bescheid weiß und sich auch konzentriert? Nachher kann man sich verständigen. Das muß doch helfen? Ein bißchen was merkt Agathe auf jeden Fall jetzt schon, denn ich rede kein Wort und sie fragt mich trotzdem nichts!
Auf dem Weg zum Waldweiher rückte er mit der Sprache heraus. Agathe verstand sofort. Sie lebte zu lange in der Pension Schicksal, um das als Unfug abzutun.
„Mich interessiert es genauso wie dich. Ich hab auch schon herumprobiert, ob ich Stimmen höre, Gesichter sehe oder Begebenheiten. Aber allein tut man sich hart. Und mit wem kann man schon darüber reden? Drum finde ich deinen Vorschlag ganz prima, Flori !“
Auch er war davon überzeugt. Sie schwammen zuerst ziemlich lang, weil die Muskeln nachher entspannt sein sollten. Anschließend ließen sie sich von der Sonne trocknen. Dann fragte er sie: „Fangen wir an?“
Agathe nickte. „Und wie?“
„Jeder konzentriert sich darauf, daß der andere etwas tun soll“, erklärte Florian. „Etwas ganz Einfaches. Nicht, daß du dir wünschst, ich soll Trompete
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