Florian und das Geisterhaus
hält.
Die Kirche ist restlos überfüllt. Seit sie im nächsten Ort einen neuen Pfarrer haben, kommen viele zum Gottesdienst herüber, weiß Donna Clara, die Frau des Metzgers. Bei ihnen sei heute nacht eingebrochen worden. Ecco !
Teresa schaut sich nach einem Sitzplatz um. Nicht lange können die Beine die schwere Kugel tragen. Aber alles ist besetzt.
Da verlagert Florian die Konzentration auf sich. Er bückt sich unvermittelt und deutet in die Bank. „Schau, Mamma, ein Skorpion!“
Fluchtartig drängen die beiden Nächstsitzenden heraus. Die schwarze Kugel rollt auf ihre freigewordenen Plätze. Einer hätte nicht gereicht. „ Ippocampino !“ flüstert sie zärtlich-stolz. „Mein Gentleman!“ Und kräftig drückt sie seine Hand.
Die Hingabe fällt ihm auf, mit der diese Menschen singen. Wie eine große Familie. Florian steht neben der Bank, die unter der schwarzen Kugel ächzt. Über seinem Hinterteil hat er die beiden Mittelfinger zusammengehakt — eine Ruhestellung, die er bei seinem eigenen Körper nicht als bequem empfinden würde. Für Filippo ist sie liebe Gewohnheit.
Da schiebt sich, während des Gesangs, eine schmale Hand zwischen seine Leihhände. Florian dreht sich zur Seite und schaut in die tiefschwarzen Augen eines Mädchens.
Was will die denn? überlegt er und muß zuerst die Konzentration verlagern, um sie zu erkennen. „Graziella!“
„Kommst du zum Volksfest heute abend?“ fragt sie, nah an seinem Ohr, daß ihr Atem kitzelt.
Das scheint seine Vertraute zu sein! kombiniert Florian. Wie bei mir Agathe.
„Ich denk schon“, antwortet Filippo unabhängig. „Mama ist heut gut aufgelegt.“
„Treffen wir uns bei der Kapelle!“ flüstert sie.
Plötzlich reizt es Florian einzugreifen. Er verlagert das doppelte Bewußtsein auf seine Seite und sagt: „Ach, eigentlich könnten wir ins Hotel gehen. Mir wär nach ein paar Whiskys.“
Fassungslos starrt sie ihn an. „Bei den blöden Touristen, spinnst du?“
Er lächelt sehr überlegen. „Die sind nicht alle blöd. Ich kenn da eine sehr nette Familie aus Deutschland. Sporttaucher aus Neustadt. Die würden uns sicher einladen.“
Für solche Scherze hat Graziella gar kein Verständnis. Oder sie ist von Filippo keine gewöhnt. „Du kannst ja hingehen. Ich bin bei der Kapelle!“ Langsam verschwindet sie in der Menge.
Unschlüssig steht er da, mit seinen zusammengehakten Mittelfingern. Das war nicht fair! überlegt er. Ich muß das in Ordnung bringen am Abend. Ich verdufte wieder astral und hab vielleicht eine Freundschaft zerstört. Einen Leihwagen kann man auch nicht einfach defekt irgendwo stehenlassen... Zufrieden, sich seiner Korrektheit bewußt geworden zu sein, schaltet Florian um und singt mit.
Eigentlich sehr bequem, immer nur zeitweilig verantwortlich zu sein und dann wieder Zuschauer wie im Theater! freut er sich gerade, da kracht’s auf einmal in den verhakten Mittelfingern und sie schmerzen. Ein Tritt hat sie getroffen und gleich noch einer.
Roberto! kombiniert Florian. Schmerz empfindet das doppelte Bewußtsein doppelt. Unabhängig von der Konzentration! Langsam, der Feierlichkeit des Ortes angepaßt , dreht sein Leih-Ich sich um. Doch da ist kein Roberto, da steht Cesare und singt mit Unschuldsmiene über seinen Kopf hinweg.
Das läßt Florian nicht durchgehen, er greift ein. Schon um Filippos Jähzorn zuvorzukommen. „Treten ist ein Zeichen von Dummheit!“ raunt er dem starken Cesare zu. „Und du bist der Allerdümmste!“
Cesares Gesicht verrät Überraschung und Ohnmacht vor dem Intellekt als Waffe. „Was... was sagst du da?“ fragt er zurück.
„Jetzt fragst du auch noch, du dummes Schwein! Zu blöd, um zu kapieren...“
Dieser Nachsatz lähmt dem Starken die Muskeln. Vollends verwirrt über seinen Freund, der auf einmal mit Worten zurückschlägt statt mit Fäusten, fällt ihm nichts anderes ein als weiterzusingen.
Die unerwartete Reaktion! kombiniert Florian. Wie beim Maresciallo oder bei Teresa! Bei meinen Klassenkameraden hätt ich damit keinen Erfolg — die kennen mich. Oder liegt’s an der äußeren Erscheinung? Filippo traut man den Text einfach nicht zu. Muß mal darauf achten, wie ich wirke mit meinem Taxi! Und dann das Gegenteil tun. Auch zu Hause...
Der Pfarrer sagt etwas, die Gemeinde antwortet. Florian läßt Filippo reden. Die Tritte haben ihn nachdenklich gestimmt. Auch das ist neu.
Nach dem Gottesdienst bietet sich Gelegenheit, seine Überlegungen auszuprobieren. Roberto und
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