Flossen weg
Delfine und Fledermäuse brauchen keine Oszilloskope, um mit Hilfe von Schallwellen sehen zu können. Vielleicht ist doch was dran. Nur weil ich einen Computer benutze, um mir diese Daten anzusehen, glaube ich doch nicht, dass Wale digitale Wesen sind. Es ist lediglich ein Denkmodell.« Er wollte ihr auf die Schulter klopfen, um sie zu trösten, doch dann fiel ihm ein, wie sie im Gefängnis darauf reagiert hatte.
»Du siehst dir keine Daten an, Nate, du denkst sie dir aus. Du verschwendest deine Zeit, und ich bin mir nicht sicher, ob du nicht auch meine Zeit verschwendest. Diesen Job anzunehmen, könnte ein großer Fehler gewesen sein.«
»Amy, ich verstehe nicht, wieso –«
Aber sie gab ihm keine Chance, sich zu verteidigen. »Geh ins Bett, Nate. Du phantasierst. Wir haben morgen reichlich Arbeit vor uns, und du bist nicht zu gebrauchen, wenn du nicht geschlafen hast.« Sie machte kehrt und stürmte in die Nacht hinaus. Während sie über den Hof zu ihrer Hütte lief, konnte Nate hören, wie sie vor sich hin schimpfte. Die Worte »Blödian«, »unterbelichtet« und »jämmerlicher Verlierer« stiegen zum Himmel auf und regneten auf Nates Ego herab.
Seltsamerweise empfand er eine gewisse Erleichterung, als ihm bewusst wurde, dass die romantischen Illusionen, die er sich hinsichtlich seiner Forschungsassistentin gemacht hatte, genau das waren und nicht nichts anderes: Illusionen. Sie hielt ihn für eine Witzfigur. Zufrieden mit sich selbst – zum ersten Mal, seit Amy mit an Bord war – speicherte er seine Arbeit, fuhr den Rechner herunter und ging ins Bett.
14
Hinunter zum Hafen
Hinunter zum Hafen ging ihre Reise – vorbei an Wohnblocks, Zuckerrohrfeldern, dem Golfplatz, dem Burger King, dem Friedhof mit seinem großen, grünen Buddha, glückselig dort am Meer, vorbei an Steakhäusern, an Touristenfallen, dem alten Mann auf seinem Mädchenfahrrad, der die Front Street entlangrollerte, mit einem Papagei auf dem Kopf – hinunter zum Hafen ging ihre Reise. Sie winkten den Forschern am Tankanleger, nickten den hübschen Hexen vor ihren Buden zu, grüßten die Tauchlehrer und die Kapitäne und schleppten Forschungszeug den Anleger entlang, um ihren Tag zu beginnen.
Tako Man stand am Heck seines Bootes und frühstückte Reis mit Oktopus, als die Mannschaft von Maui Whale – Clay, Quinn, Kona und Amy – vorbeikam. Er war ein kompakter, kräftiger Malaysier mit langen Haaren, einem ausgefransten Unterlippenbärtchen und knöchernen Angelhaken in den Ohren, mit denen er wie ein Pirat aussah. Er gehörte zu den Schwarzkorallentauchern, die im Hafen lebten, und er trug – wie immer – seinen Tauchanzug.
»Hi, Tako«, sagte Clay. Der Taucher blickte von seiner Schale auf. Seine Augen sahen aus, als hätte jemand Blut hineingespritzt. Kona fiel auf, dass sich der kleine Oktopus in der Schale noch bewegte, und als er den Anleger hinuntermarschierte, spürte er, wie ihm das kalte Grausen den Rücken hinaufkroch.
»Nightwalker, die Grauen, heute Nacht auf eurem Boot. Hab sie gesehen«, sagte Tako Man. »Nicht zum ersten Mal.«
»Gut zu wissen«, erwiderte Clay herablassend und ging weiter. Man musste sich mit allen, die im Hafen wohnten, gut stellen, besonders mit den Schwarzkorallentauchern, die ein Leben führten, das weit über alles hinausging, was die meisten Menschen als normal empfanden. Sie spritzten Heroin, waren schwere Trinker und tauchten tagein, tagaus siebzig Meter tief, suchten Schwarzkorallen, wertvoll wie Edelsteine, und dann warfen sie ihr Geld bei wochenlangen Partys aus dem Fenster, die mehr als einmal damit endeten, dass einer von ihnen tot am Pier lag. Sie lebten auf ihren Booten und aßen Reis und alles, was das Meer hergab. Tako Man wurde so genannt, weil der grauhaarige Malaysier jeden Nachmittag, den Gott werden ließ, mit einem Netz voll tako (Oktopus) herumlief, die er am Riff aufgespießt hatte, um sie am Abend zu verspeisen.
»Hi«, sagte Amy schüchtern zu Tako Man, als sie an ihm vorüberkam. Finster stierte er durch blutigen Nebel, und sein Kopf tat einen Ruck, dass er fast sein Frühstück herausnickte. Amy lief schneller und rammte Quinn ihre Kiste von hinten in den Oberschenkel.
»Verdammt, Amy!« sagte Quinn. Fast wäre er gestürzt.
»Tauchen die Typen etwa in diesem Zustand?«, flüsterte sie und klebte an Quinn wie ein Schatten.
»Schlimmer. Könntest du vielleicht etwas abrücken?«
»Der ist mir unheimlich. Du sollst mich beschützen, du Memme. Wieso kriegen sie
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