Flowertown - Die Sperrzone
gehst du nicht in die Bücherei und leihst dir ein Geschichtsbuch aus?«
Ellie wartete ab, bis er mit seinem Vortrag fertig war. Sie mochte Mr MacDonald. Sie mochte den Bourbon, den sie in seinem Atem roch, und die Art und Weise, wie er jeden anbrüllte, vor allem seine Kunden. Bing hatte ihr erzählt, dass er vor dem Chemieunfall Professor an der Northwestern Universität gewesen war, und Ellie dachte, dass er der Typ Professor gewesen sein musste, der ihr gefallen hätte.
»Ich will die Zeitung behalten.«
»Willst du dein Geld zum Fenster rausschmeißen?«
»Warum nicht?« Ellie zuckte mit den Achseln. »Ich vertrinke es sonst nur. Vielleicht brauche ich die Zeitung auch, um eine Bombe zu verstecken.«
MacDonald lehnte sich über den Tresen und senkte seine Stimme. »So etwas zu sagen, kann dich in den Knast bringen, junge Frau.«
»Oh nein, ich würde es mit Sicherheit schrecklich finden, auf kleinstem Raum festgehalten zu werden, ohne herauszukönnen.« Sie hielt seinem harten Blick stand, bis Lachfältchen um seine Augen zu sehen waren. Ihm gefiel ihre Schnippigkeit.
»Und wenn ich untergehen sollte, alter Mann, dann nehme ich Sie mit mir.«
»Ja, ja, Versprechungen, leere Versprechungen.« Er zog ihre Kreditkarte durch. »Hast du den ›Von Hier heute schon in der Hand gehabt? Es stehen ein paar interessante Dinge darin.«
Der »Von Hier« war ein Newsletter, den eine Gruppe von Einwohnern unregelmäßig an wechselnden Orten herausbrachte und der über eine kunterbunte Palette von Themen berichtete, vergleichbar mit einem schlecht geschriebenen Kirchenbrief. MacDonald legte ihr ein Exemplar in die zusammengefaltete Zeitung.
»Danke schön, Sir. Ich werde ihn mir anschauen.«
»Lügnerin.«
Das Gesundheitszentrum war wie immer überfüllt. Die Schlange für die Medikamentenausgabe um elf Uhr erstreckte sich durch die Glastür bis in die Lobby hinein. Ellie schob sich durch die gelangweilt dreinschauende Menschenmenge und hielt ihre Marke, die sie zusammen mit dem Dienstausweis an ihrem Schlüsselanhänger befestigt hatte, unter den Scanner. Die Tür zu ihrer Linken summte und öffnete sich, und Ellie betrat die Blaue-Marke-Lounge. Das stand zwar nicht an derTür, aber Ellie hatte sich noch nie darum gekümmert, die Inschrift auf dem Schild zu lesen.
Ellie lehnte sich gegen den Fensterrahmen am Empfang und wartete darauf, dass die stark geschminkte Rezeptionistin Notiz von ihr nehmen würde.
»Hallo.« Nach einer guten Minute klopfte Ellie mit ihren Fingerknöcheln gegen die Glasscheibe.
Die Frau tippte weiter und hielt ihre Augen starr auf den Bildschirm vor ihr gerichtet.
»Ich habe einen Check-up-Termin um elf.«
Die Frau tippte noch ein bisschen weiter und drehte dann mit übertriebener Geste ihren Hals, um auf die große Uhr zu schauen, die hinter ihr hing, bevor sie sich wieder mit bleischweren Augen an Ellie wandte. »Es ist zehn Uhr zweiundfünfzig.«
Ellie schwenkte ihre Gesundheitsmarke vor der runden Öffnung in der Glasscheibe. »Tja, nun, da ich eine Blaue-Marke-Patientin bin, könnte man vielleicht glauben, dass ich nicht alle Zeit der Welt habe. Außerdem habe ich eine Arbeit, zu der ich zurückkehren muss.«
Die Frau kräuselte ihre Lippen, wobei die dicke Schicht Make-up um ihren Mund herum zu bröckeln begann, und Ellie erkannte, dass sie älter war, als sie auf den ersten Blick gewirkt hatte. Vielleicht hatte ihre strenge Zickendiät sie vorzeitig altern lassen. Wie dem auch sei, sie stützte sich auf ihre Ellbogen und beugte sich grinsend nach vorne, und das Grinsen ließ ihr Gesicht noch unfreundlicher aussehen.
»Auch ich habe eine Arbeit, der ich nachgehen muss, Madam.« Sie musterte Ellie mit dem gleichen Gesichtsausdruck, mit dem Ellie Marthas Haarknäuel inspiziert hatte.
»Und meine Arbeit besteht darin, dafür zu sorgen, dass Termine ordentlich eingehalten werden. Ihr Termin ist um elf. Nicht um zehn vor elf, nicht eine Minute nach elf.«
»Sie wollen mich wohl verarschen?«
»Bitte nehmen Sie Platz«, sie berührte die Glasscheibe mit einem langen, pinken Fingernagel mit Blumenmuster, »ich werde Sie termingerecht aufrufen.«
Ellie wusste, dass Diskutieren keinen Sinn hatte. Stattdessen lehnte sie ihre Stirn gegen das Fenster. »Ich wette darauf, dass Sie jeden Monat zur Mitarbeiterin des Monats gekürt werden.« Mit einer Mimik, die so aussah, als genösse sie eine Art hässlichen Triumph, presste die Frau ihre Lippen zusammen. Dann sah sie den Fettfleck, den
Weitere Kostenlose Bücher