Flowertown - Die Sperrzone
wartete, versuchte sie, das abstehende Klebeband auf ihrem Verband wieder glatt zu drücken. Sie fluchte, als Guys Mailbox antwortete. Was für ein Scheißtag. Die Ansagerin begann mit ihren sinnlosen Anweisungen zum Hinterlassen einer Nachricht, und Ellie fluchte noch einmal, weil sich das Band auf ihrem Arm weigerte, kleben zu bleiben. »Hey, Guy«, sagte sie nach dem Signalton, »wollte nur mal hören, wie es dir geht nach gestern Nacht. Ich bin auf dem Weg zurück zur Arbeit und …« Das Mobiltelefon rutschte ihr zwischen Schulter und Ohr weg. In ihrem Frust hatte sie das störrische Band von ihrem Verband abgerissen. Der Mull war nicht abgefallen, denn da war noch ein anderes Stück Klebeband unter dem ersten. Auf dem unteren Streifen stand in kleinen, handgeschriebenen Buchstaben eine Botschaft: »Nicht die roten Pillen nehmen.«
Ellie glotzte regungslos auf die Wörter. Sie hörte das Telefon zu ihren Füßen piepsen, weil die Zeit für ihre Nachricht vorüber war, aber sie konnte sich noch immer nicht rühren. Bing. Sie musste Bing finden. Sie griff die Tüte, sprang auf ihre Füße und begann zu rennen. All die Anspannung von der Nacht zuvor, all die Wut vom Morgen, all die Jahre, in denen sie sich geweigert hatte zu rennen, fielen von ihr ab, als ihre Muskeln zum Leben erwachten. Sie spürte, wie ihre Lungen brannten, aber sie hielt nicht an, sie konnte nicht anhalten, bis sie Bing gefunden hatte. Er würde wissen, was diese Worte bedeuteten. Er würde ihr etwas von seiner Verschwörungstheorie erzählen, und sie würden schön high werden, und sie würde ihm sagen, dass er verrückt war, dass diese Worte einfach nur ein Witz waren.
Aber das glaubte sie nicht.
Sie keuchte schwer, als sie im Laufschritt um die letzte Ecke vor der Archivverwaltung bog. Die Tüte trommelte schmerzhaft gegen ihre müden Beine. Bing würde ihr sagen, was sie denken sollte und ihr helfen, das alles zu verstehen. Bing wusste immer, was zu tun war. Bing wusste immer alles. Sie beugte sich vor, um Luft zu bekommen. Da fiel ihr ein, dass Bing gar nichts von den roten Pillen wusste. Sie hatte ihm nichts gesagt. Nach allem, was sie miteinander durchgestanden hatten, hatte sie die wichtigste Information über ihr Leben vor ihm geheim gehalten. Sie wusste beim besten Willen nicht, wie er darauf reagieren würde.
Ellie stand draußen auf der Straße, starrte auf ihre Arbeitsstätte und versuchte, ihre Gedanken im Zaum zu halten, damit sie nicht in sämtliche Richtungen davonschwirrten. Ihr Haar klebte schweißnass auf de, Gesicht und ihr Atem ging laut und rasselnd, aber sie konnte an nichts anderes denken als daran, dass sie Bing gestehen musste, ihm ein Geheimnis verschwiegen zu haben. Sie musste ihm gegenübertreten. Er musste ihrverzeihen. Sie brauchte ihn. Sie gab sich einen Ruck, und genau in dem Moment, als sie einen Schritt auf das Archiv zumachte, explodierte das Obergeschoss.
Im ersten Moment dachte Ellie, dass ihr Gesicht irgendwie eingeschlafen sei. Es kribbelte und brannte. Als sie versuchte, die Augen zu öffnen, bemerkte sie, dass winzige Holz-und Glassplitter auf sie herabrieselten. Sie lag ausgestreckt auf dem Gehweg, mit dem Gesicht nach oben. Die Explosion hatte sie umgemäht, vielleicht war sie auch einfach nur gestolpert. Jedenfalls lag sie auf dem Rücken und sah, wie ihr Büro brannte.
Sie konnte nur wenige Sekunden ohnmächtig gewesen sein, denn das Chaos brach gerade erst aus. Aus einiger Entfernung waren Sirenen zu hören, und sie stand schon wieder auf den Füßen, noch bevor die Leute aus dem Vordereingang rannten. Die Straße füllte sich schnell mit Menschen, die kreuz und quer durcheinanderliefen und sich anrempelten, während dicke, schwarze Rauchwolken aus der Archivverwaltung quollen, dort, wo einmal ein Lüftungsschacht gewesen war. Sie kannte diesen Lüftungsschacht genau. Es war der Schacht neben den Toiletten, der Schacht, den sie und Bing benutzten, um den Rauch ihrer Joints und Zigaretten abziehen zu lassen. Der Lüftungsschacht in der roten Zone.
Ellie ließ sich von der Menge hin und her schieben und suchte nach den vertrauten Gesichtern von Bing und Martha. Drinnen in dem rauchgefüllten Gebäude riefen Leute um Hilfe, bellten Befehle und schleppten ihre Mitarbeiter ins Freie. Die Sirenen schnitten durch den Irrsinn. Feuerwehrleute versuchten, die Menge zu teilen und befahlen ihnen, zurückzutreten, während ihre Kollegen in voller Schutzausrüstung in das Gebäude preschten. Ein junger
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