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Fluch der 100 Pforten

Fluch der 100 Pforten

Titel: Fluch der 100 Pforten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Wilson
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Flaschen und Schalen auf den Steinboden. Gläser zerschellten und Scherben flogen vor Henrys nackte Füße. Der kleine Mann brach zusammen und stürzte unter Zuckungen in das Durcheinander. Einen Augenblick später rührte er sich nicht mehr – sein langsamer Atem war alles, was im Raum zu hören war.
    Henrys Augen brannten. Tränen rannen ihm über die Wangen. Aber es kümmerte ihn nicht. Er konnte wieder sehen. Und es gab anderes, was ihm Sorgen bereitete. Er stellte sich auf seine wackeligen Beine.
    Er musste eine Treppe finden. Und er musste zwei Stockwerke abwärts laufen, ohne dabei ertappt zu werden, und auf die Straße hinausgelangen. Dann musste er herausbekommen, wo es Richtung Süden ging, und dann zwei Milongs – eine Größeneinheit, die er nicht kannte – entfernt ein Postamt finden. Dort würden sich dann weitere Probleme auftun. Aber darüber brauchte er im Moment noch nicht nachzudenken.
    Er wusste nicht mehr, was er getragen hatte, als er ins Bett gegangen war. Jetzt aber hatte er eine grobe Baumwollhose an, die ihm gerade über die Knie reichte. Der Bund, der von einer Kordel zusammengehalten wurde, war weit genug, dass
er zweimal hineingepasst hätte. Mehr trug er nicht – abgesehen von den Wunden, die ihm die Fesseln beigebracht hatten, und den Schnitten in seinem Bauch.
    Henry versuchte zu gehen, aber seine Glieder fühlten sich wie gestaucht an, schwerfällig und voller Wasser. Sein Kopf dröhnte und der kalte Steinboden erschien ihm wie das sanfteste und verlockendste Bett der Welt. Er hatte den Wandelkrampf überlebt. Aber er fühlte sich wie tot. Der ganze Kram mit dem zweiten Blick war Unsinn. Seine Sehkraft hatte sich eher verschlechtert. Er betrachtete seine verbrannte Handfläche. Golden und glänzend leuchtete die Narbe und wandelte sich unablässig wie eine lodernde Flamme. Henry sah es Grün daraus hervorbersten, er sah wie es aufflammte und zu fedriger Asche verbrannte. Aus der Asche trat erneut Grün hervor, wieder und wieder. Es loderte auf, erstarb und wurde wiederum geboren. Und dieser ewige Kreislauf, dieses Leben war in seine Haut eingeritzt.
    Er stellte sich so gerade hin, wie er konnte. Sein Kopf dröhnte noch mehr. Der Raum verschwamm vor seinen Augen, wurde grau, löste sich um seine Füße herum auf. Er konnte sich plötzlich in Geschichten hineinbegeben und von ihnen davontragen lassen.
    Henry schloss die Augen. Er konzentrierte sich auf sein Gleichgewicht, atmete tief durch und lauschte auf seine dröhnenden Ohren und auf sein Herz, das in seinen Schläfen hämmerte. So etwas wie dies hatte er noch nie gesehen oder gefühlt, etwas, das so herzzerreißend schön war und gleichzeitig so gefährlich. Eine himmelhohe Klippe lockte ihn zu springen, eine glatte Schlange umschmeichelte ihn, sie zu berühren,
und ein wogender Ozean zog ihn an, in ihm zu ertrinken. Eine Geschichte verleitete ihn, in ihr aufzugehen und sich auslöschen zu lassen.
    Trotz aller Schmerzen musste er irgendwie weiter. Er entfernte sich humpelnd vom Tisch. Zuerst einmal musste er zurück nach Kansas. Danach konnte er Löwenzahn pflücken gehen. Oder nach Badon Hill. Egal wohin, bloß weg von hier. Er stutzte.
    War er mit seinem Rucksack hierher gekommen? Großvaters Notizbuch, sämtliche Kombinationen – das alles würde für immer hierbleiben, wenn er es jetzt vergaß. Unter größten Mühen blickte er geradeaus und sah sich im Raum um. Jetzt erst bemerkte er die Tabellen und Diagramme, die die Wände rundherum wie eine Tapete bedeckten. Zettel um Zettel war übereinandergeheftet. Sie reichten bis zum Boden herab. Darüber waren Schnüre gespannt, wahrscheinlich, damit die Zettel nicht flatterten, wenn die Fenster geöffnet wurden. In einer Ecke stand eine große Metalltruhe.
    Der Mann atmete deutlich hörbar. Allerdings hatte sich neben seinem Kopf eine Blutlache gebildet. Schränke gab es in diesem Raum keine, sofern man nicht die Metalltruhe dazu zählen wollte, und ebenso keine Stellflächen – abgesehen von dem kaputten Tisch und der Bahre, auf die er gefesselt gewesen war. Aber unterhalb des Tisches, auf dem die Elixiere standen, hinter den Beinen des Mannes, stand eine Kiste, deren Ecken mit Blei beschlagen waren.
    Henry bahnte sich einen Weg durch die Glasscherben, nahm den Deckel der Kiste ab und sah hinein. Gleich obenauf lagen eine graue Jogginghose und seine Unterwäsche. Darunter
stieß er auf ein weißes T-Shirt und seinen Rucksack. Schuhe fand er keine.
    Er zog das T-Shirt schnell

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