Fluch der 100 Pforten
schlüpfte rasch hindurch.
ACHTES KAPITEL
F rank hatte in seinem Leben schon viele schreckliche Tage erlebt, aber dieser war der Schlimmste. Als er sich damals in den Fächern verlaufen hatte und nach Kansas geraten war, war es für ihn wohl am schwersten gewesen. Auch wenn ihm seine Mutter sehr, sehr leid tat. Vor vielen Jahren, als Dotty in Endor durch ihn fast umgekommen wäre, hatte ihr Vater sie beide gerettet. Als Henry und Henrietta zum ersten Mal verschwunden waren, war Frank ganz schlecht geworden. Er hätte die Möglichkeit gehabt, das zu verhindern. Er hätte dafür sorgen können, dass Henry aufhörte, den Putz abzukratzen. Aber er hatte nichts getan.
Und was noch schlimmer war:
Er hatte ein weiteres Mal nichts getan. Und er wusste auch, warum. In seinem tiefsten Herzen wollte er noch immer in seine Heimatstadt, seine eigentliche Welt zurückkehren. Wenn er nicht irgendwann Wurzeln geschlagen hätte, hätte Frank auch weiter die Fächer benutzt. Es wäre heuchlerisch gewesen, wenn er versucht hätte, Richard und Henry hier festzuhalten. Allerdings hatte er nicht damit gerechnet, dass sie es trotz Henrys Blindheit versuchen würden.
Frank hatte gewusst, dass im Zusammenhang mit Großvaters Schlüssel jemand gelogen hatte. Aber er hasste Verhöre.
Und jetzt waren sie weg. Alle drei. Der Schlüssel war wie vom Erdboden verschluckt und Großvaters Zimmer fest verschlossen.
Dotty weinte nicht. Sie tat etwas viel Schlimmeres. Sie lief schweigend durchs Haus und wenn sie ihn ansah, las er in ihren Augen nur Unverständnis. Sie konnte es einfach nicht nachvollziehen. Sie verstand nicht, wie er solche Fehler machen konnte. Und das nicht zum ersten Mal.
Noch einen Blick dieser Art würde er nicht ertragen.
Frank stand auf der Wiese und öffnete die Gewehrläufe. Er grub in seiner Tasche, zog zwei Patronen heraus, steckte sie in die Flinte und ließ die Läufe wieder zuschnappen. Dann entsicherte er die Waffe und blies seine Backen auf.
»Dots!«, schrie er.
»Wir sind unten!«, schrie Dotty zurück.
Frank hob die Flinte an die Schulter und zielte auf Großvaters Fenster. Die Windglöckchen an der Haustür bimmelten und Frank legte seinen Finger an den doppelten Abzug. Er atmete aus und drückte ab.
Rebhühner flatterten von den Feldern auf. Das war nichts Besonderes. Der Kater Blake verließ mit einem Satz sein Plätzchen an der Vordertür und suchte das Weite. Die Windglöckchen bimmelten heftiger, aber niemand achtete auf sie. Zwei Schmetterlinge, die diesen Moment erkoren hatten, um einander auf halber Strecke zwischen Frank und dem Haus zu umwerben, existierten mit einem Mal nicht mehr.
Immerhin waren sie nicht allein geblieben.
Frank senkte das Gewehr zu Boden, sicherte es und rieb sich die Schulter. Es war ziemlich viel Zeit vergangen, seitdem er das letzte Mal geschossen hatte. Mit der Flinte in der Hand ging er auf das Haus und die verwitterte alte Leiter zu, die er gegen das Vordach über der Haustür gelehnt hatte.
Er hatte schon vom Bad aus versucht, die Wände von Großvaters Zimmer einzureißen, von oberhalb der Treppe aus und neben der Tür auf dem Flur. Er hatte einen großen Teil des Anstrichs ruiniert und das ganze Haus eingestaubt, aber er war noch nicht mal durch den Putz bis auf die darunter liegende Holzwand gelangt. Diese Aktionen waren alle umsonst, und er wusste das auch genau. Aber es war besser, als gar nichts zu tun.
Vorsichtig, weil er das Gewehr dabeihatte, stieg er die Leiter bis auf Höhe der alten Schindelabdeckung über dem Hauseingang hinauf. Auf diese Weise hatte er Großvaters Fenster direkt vor sich. Das eine war vom Alter ein wenig verzogen, aber die Scheibe war durchsichtig und blank. Das andere Fenster, auf das Frank geschossen hatte, war von oben bis unten verkratzt. Winzige Krater besprenkelten seine Oberfläche und Farbfetzen und Holzsplitter ragten aus kleinen Löchern im Rahmen. Dennoch war nicht der winzigste Sprung zu sehen, bloß Kratzer und Dellen.
Frank öffnete die Gewehrläufe, nahm die leere Patrone heraus und warf sie auf den Hof. Er setzte eine neue ein, ließ die Läufe zuschnappen und spannte beide Hähne.
Allmählich wurde er ein bisschen kribbelig. Ziemlich kribbelig sogar. Und trotz seines Misserfolgs zuckte ein Lächeln um seine Mundwinkel. Er kletterte noch eine Sprosse höher,
hielt das Gewehr an seine Hüfte und richtete es auf das zerkratzte Fenster.
»Dots!«, schrie er.
»Wir sind unten!«, schrie sie zurück.
Dann, als
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