Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fluch der 100 Pforten

Fluch der 100 Pforten

Titel: Fluch der 100 Pforten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Wilson
Vom Netzwerk:
auch gar nicht erst diese Pause auf dem Sims eingelegt!
    Henry schwang sein steifes Bein erneut um das Rohr herum, sammelte sich und begann zentimeterweise hinabzurutschen. Nur dass es nicht zentimeterweise funktionierte. Seine Knie wurden weich, seine Beine klappten auf und er fiel – wobei er die Röhre weiter fest umklammert hielt. Die nächste Schelle schoss ihm von unten entgegen und schlug ihm im Vorübergleiten ans Kinn. Das Rohr erzitterte und sandte ein Dröhnen über das Rattern und Rauschen der Straße. Unter Schreien gelang es ihm, die Füße und Schenkel wieder zu
schließen, und er fühlte ein schreckliches Brennen, als er zu bremsen versuchte. In einem Bogen mündete das Rohr in die Wand.
    Nun befand sich Henry im freien Fall. Seine Hände griffen nach der Mauer, bekamen aber nichts als Luft zu fassen.
    Schmerz durchzuckte seinen Körper, als seine Füße auf dem letzten Steinsims aufschlugen. Seine Beine knickten ein, sein Körper klappte zusammen und sein Gesicht schlug gegen etwas Hartes. Dann fiel er widerstandslos hintenüber.
     
    Jeder Sturz geht langsam und gleichzeitig blitzschnell vonstatten. Die Hälfte der Leute, die auf der Straße unterwegs waren, hatte nach oben gesehen, als das Rohr zu zittern und zu dröhnen begonnen hatte. Die Leute beobachteten, wie sich ein Junge mit einem Rucksack an die Wand und kurz darauf an das Rohr klammerte, und wie er dann abstürzte und nach dem Himmel griff.
    Er fiel nicht tief.
    Eine rote Sänfte, die der Länge nach zwischen zwei großen vierrädrigen Fahrrädern hing, hielt unmittelbar neben dem Gebäude an. Der stürzende Junge fiel genau in sie hinein.
    Ein wenig erzitterte die leuchtend rote Trage, schwankte erst nach rechts und links und dann ein Stück nach vorn. Aber es entstand kein Aufsehen, kein Tumult und kein Blutvergießen. Sofern der Junge umgekommen war, dann dort, wo die Menge es nicht mitbekam und nicht daran teilhaben konnte.
    Und der Verkehr floss einfach weiter.

    Henry schlug die Augen auf. Die Welt war eine Wolke. In der Mitte der Wolke befand sich ein Augenpaar mit einer Brille. Eine Hand zupfte an einem Bart.
    Ein entfernter Henry, ein ganz anderer Henry sagte etwas.
    »Können Sie mich zum Postamt bringen?«, fragte er.
    Die Wolke verdunkelte sich und löste sich auf. Der Bart verschwand als Letztes.

ZEHNTES KAPITEL
    A ha«, sagte Henrietta. »Sie wollen mich also nicht mehr gehen lassen?«
    Der Fisch auf dem Tablett war mittlerweile verschwunden und die Hälfte der Oliven auch. Den Ziegenkäse hatte sie nicht angerührt.
    Die Frau presste die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf.
    »Und warum nicht?«, fragte Henrietta. Sie kannte die Antwort bereits, versuchte aber Zeit zu gewinnen. Ihr Großvater hatte etwas gestohlen und jetzt wollte diese Frau sie dafür zur Rechenschaft ziehen. Sie sah aus dem offenen Fenster und versuchte nicht zur Tür hinüberzuschielen. Benjamin und Joseph waren bis jetzt nicht zurückgekommen. Allein konnte die alte Frau nicht allzu schwer zu schlagen sein.
    Die Frau richtete sich in ihrem Stuhl kerzengerade auf und faltete die Hände im Schoß. »Ich habe es dir schon erklärt. JedeNation hat ein Recht auf Verteidigung. Erst sind wir ausgeraubt und dann in Schutt und Asche gelegt worden. Bevor wir an den Wiederaufbau denken können, müssen wir uns ein paar Dinge zurückholen. Dinge, die dein Vorfahre gestohlen hat.«
    Henrietta runzelte die Stirn und legte den Kopf schief. Sie war verärgert und beunruhigt und hatte größte Mühe, nicht ironisch zu werden. Sogar dieser Frau gegenüber.
    »Eine Nation?«, fragte sie. »Sie sind eine Nation?«
    Die Frau befeuchtete ihre Lippen. »Die FitzFaeren begannen ihren Aufstieg vor vielen Jahrhunderten. Wir sind ein Volk halb Mensch, halb Elf. Irgendwann haben wir erkannt, dass wir unsere ganz eigene Stärke besitzen, die Kraft beider Arten. Wir sind eigenständig geworden und nicht länger Lakaien für die Elfen und Schoßwesen für die Menschen geblieben. Und wir sind ein starkes Volk geworden.
    Von der ersten Grundsteinlegung für unsere eigene Stadt bis zum Untergang durch die Hände von Verrätern und die Hunde von Endor sind wir von Königinnen regiert worden. Thron und Zepter wurden stets von der Mutter auf die Tochter vererbt, niemals auf den Sohn.«
    »Wie bei den Bienen«, bemerkte Henrietta. »Oder den Ameisen.«
    Die Frau runzelte die Stirn. »Oder bei bestimmten Arten unterirdischer Nagetiere, wenn du dir das besser vorstellen kannst. Oder

Weitere Kostenlose Bücher