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Fluch der 100 Pforten

Fluch der 100 Pforten

Titel: Fluch der 100 Pforten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Wilson
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hier war und einen Gast mitgebracht hatte? Einen menschlichen Gast?«
    Henrietta schwieg.
    »Dieser Gast war schon früher bei uns gewesen. Wir kannten ihn alle. Aber er stahl uns – oder erhielt von einem Verräter – einige Dinge, durch die unsere Verteidigung geschwächt wurde. Er ist schuld, dass wir vernichtet worden sind. Und weißt du, wer dieser Gast war?«
    Henrietta schluckte. Sie glaubte es zu wissen – wenn sie auch hoffte, dass sie falsch lag.
    Die Frau sah Henrietta tief in die Augen. »Es war dein Großvater. Und für jemanden, der sehen kann, ist es dies, was dir auf die Stirn geschrieben steht.«
     
    Henry presste seine Schulterblätter gegen die Wand. Er hatte seinen Rucksack abgestreift und trug ihn jetzt auf dem Bauch. Er stand auf einem schmalen Sims, zwei Stockwerke hoch über einer engen Straße mit Kopfsteinpflaster. Gegenüber erhob sich ein Gebäude, das aussah wie die Bostoner Stadtbibliothek, abgesehen davon, dass es etwa ein Dutzend Kamine oder sogar noch mehr besaß, die dunkle Wolken aus dem Dach bliesen.
Die eine Hälfte der Wolken stieg in den bedeckten Himmel auf. Die andere Hälfte driftete seitlich davon und sank langsam auf die Straße hinab, oder überquerte sie auf halber Höhe und nahm Henry die Luft.
    Vorsichtig, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren, fasste Henry erneut nach dem Halsausschnitt seines weißen T-Shirts und zog ihn sich über Mund und Nase.
    Er konnte in die Fenster des gegenüberliegenden Hauses sehen. Es lag wirklich nicht weit entfernt. Das ganze Gebäude war voller Frauen, die sich mit komplizierten, dampfenden Maschinen befassten. Einige von ihnen trugen Gesichtsmasken, während andere – ob Männer oder Frauen war nicht zu unterscheiden – in so etwas wie grauen Imker-Anzügen umherliefen.
    Er hatte viel Zeit zum Zugucken. Als er vorhin aus dem Fenster gestiegen war und seinen Rücken an die Mauer drückte, war er einer jungen Frau aufgefallen. Sie war an die Scheibe getreten, hatte ihn angesehen und zu gestikulieren begonnen. Sie hatte den Arm gehoben und ihre Hand auf die Fensterbank plumpsen lassen. Dann hatte sie fragend die Schultern gehoben.
    »Ob ich mich herabstürzen will?«, hatte Henry laut gefragt. »Nein.« Er hatte heftig den Kopf geschüttelt und sie hatte eine Grimasse gezogen und war zurück zu einem Haufen Röhren gegangen.
    Aber alle paar Minuten sah sie wieder zu ihm herüber.
    Schließlich war ihm klar geworden, dass er etwas tun musste. Sich zu verstecken würde nicht viel bringen. Zuerst hatte er es für eine gute Idee gehalten, aus dem Fenster zu
steigen. Jetzt war er sich da nicht mehr so ganz sicher. Er hätte wieder nach drinnen klettern können, um sich auf der Suche nach einer Treppe durch die Gänge und Räume zu schleichen. Er konnte das aber auch noch einen Moment aufschieben und erst mal den Sims entlanglaufen und auf eine andere Möglichkeit hoffen. Das waren die einzigen Lösungen, die ihm einfielen. Neben der Möglichkeit, einfach zu sterben oder fliegen zu lernen.
    Die Stadt war sehr groß. Sie reichte so weit Henry sehen konnte. Was nicht allzu weit war, angesichts des Rauchs und der stickigen Abgase, die aus jedem Haus aufstiegen und durch die Straßen waberten. Soweit Henry den Verkehr beobachten konnte, herrschte auf den Straßen das totale Chaos. Es gab sehr viele Fußgänger. Vierrädrige Fahrräder klapperten laut über das Kopfsteinpflaster, zum Teil allein, zum Teil im Konvoi und mit so etwas wie Sänften, die zwischen sie montiert waren. Das Merkwürdigste überhaupt waren die Lastkarren. Zumindest hielt Henry sie dafür. Es waren bunt bemalte Kästen auf riesigen Rädern. Aber anstatt von Pferden wurden sie von fassförmigen Maschinen gezogen, aus deren Seiten schwarzer Rauch oder weißer Dampf austrat. Es gab Fahrer, die diese Maschinen auf Rädern lenkten, und diese Fahrer trugen hohe Hüte und Mäntel, die zu den Farben des Wagens passten. Entweder wollten oder konnten sie für die Fußgänger nicht bremsen, und wo sie fuhren, entstand ein großes Geschrei und Fluchen und Auseinanderrennen.
    Auf die Straße zu gelangen war wahrscheinlich noch der leichteste Teil dessen, was vor Henry lag, darüber war er sich im Klaren. Er musste sich durch den seltsamen Ameisenhaufen
dort unten zwei Milongs weit nach Süden schlagen, zu einem von Gott weiß wie vielen Postämtern dieser Stadt. Und falls oder wenn er dort ankam, erwartete ihn Darius wahrscheinlich schon.
    Das T-Shirt rutschte ihm vom Kinn und Henry

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