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Fluch der 100 Pforten

Fluch der 100 Pforten

Titel: Fluch der 100 Pforten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Wilson
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Fach von dieser Seite aus zu öffnen, würde ihn vielleicht niemand hören, wenn er schrie. Im Zweifelsfall bliebe ihm dann nur, mit einem Besenstiel von der Innenseite dagegen zu schlagen − in der Hoffnung, dass es jemand mitbekam.
    Aber seine Hand ertastete keine Tür. Henry drückte sich bis zur Schulter an die Wand. Dann zog er mit einem Lachen den
Arm wieder heraus, legte seinen Mund an die Öffnung und rief: »Richard! Henrietta! Wacht auf!«
    Wenn im Postamt das Licht an war, musste in Kansas Nacht sein. Richard schlief nicht weit davon entfernt.
    »Richard!« Henry rief lauter. »Richard! Richard!« Es war ein bisschen peinlich. Wahrscheinlich konnte das ganze Postamt ihn hören.
    Schließlich richtete Henry sich wieder auf und trat einen Schritt zurück. Er konnte ja nicht ständig herumbrüllen. Und das Fach war auch schon offen. Aber warum war es überhaupt offen? Wie kam das? Henrietta war die Einzige, die es geöffnet haben konnte. Und dies bedeutete, dass sie dort drüben war. Und sich nicht um ihn scherte. Möglicherweise beobachtete sie ihn sogar. Henry wusste, dass sie durch das Fach sehen konnte. Sie hatten ja gemeinsam den Postmann beobachtet.
    Er schluckte heftig. Seine Ohren dröhnten. Wenn sie einfach nur dasaß und sich über ihn amüsierte, würde er wirklich sauer werden.
    Er ging wieder in die Knie.
    »Henrietta!«, schrie er und die Lautstärke kratzte ihn im Hals. »Du musst da sein! Wer soll das Fach denn sonst aufgemacht haben? Anastasia? Sag was, wenn du da bist! Los, mach! Steck deinen Arm durch das Fach. Zeig mir deine Hand. Tu irgendwas!«
    Er machte eine Pause und lehnte seine Stirn an die Oberkante des Faches. Er fühlte etwas an seiner Haut kribbeln. Und an seinen Fingerspitzen. Er lehnte sich zurück und betrachtete seine Hände.

    Eine flüsternde Bewegung umfloss sie. Henry richtete sich auf und trat beiseite.
    Er sah die Wand an und spürte, wie sich sein Blick veränderte und seine Augen feucht wurden. Dann sah er alles. Auf zweifache Weise.
    Das Holz jedes einzelnen Faches wimmelte auf ganz eigene Art. Es fiel Henry nicht schwer, sein eigenes Fach auszumachen. Inmitten all dieses magischen Gewimmels stellte es eine offene Stelle dar, einen schwarzen kreiselnden Sog. Das Gewimmel der anderen Fächer kreiste langsam darum herum und verschwand schließlich darin. Es sah aus wie ein Wirbelsturm auf einer Wetterkarte. Sofern ein Wirbelsturm schwarz und eine Wetterkarte etwas Greifbares sein konnte.
    Henry bekam Kopfschmerzen. Er sah aber nicht weg. Er sah genauer hin. Und er sah noch mehr. Jenseits des Gewimmels, das vor ihm lag, konnte er seine Zimmerwand erkennen. Oder gar nicht mal seine Wand. Sondern die verschlungenen Gedankengänge und die trockenen, staubigen, müden Wörter, die seine Wand bildeten. Seine Zähne begannen zu schmerzen. Und zwar heftig. Als wenn sein Zahnfleisch heruntergezogen würde und Eis an die Nerven kam. Heiße Tränen liefen ihm über die Wangen. Als sie ihm in die Mundwinkel rannen, konnte er ihr Salz schmecken, und seine Nase begann zu laufen.
    Trotzdem sah er nicht weg. Er wollte durchhalten. Er streifte rasch seinen Rucksack ab. Dann hielt er kurz den Atem an und stopfte ihn in das Loch hinein. Er verschwand.
    In seinen Stiefeln rutschend, trat Henry einen unsicheren Schritt nach vorn. Ohne sich um die Rückseiten der anderen
Fächer zu kümmern, schob er beide Hände in das kleine Loch hinein.
     
    Der Druck in seinen Ohren war unerträglich. Er schrie so laut und durchdringend, wie er nur konnte. Aber er hörte nichts. Etwas Brennendes und Klebriges blubberte in seinen Augenwinkeln, und sein Kopf dröhnte. Dann zog der Schmerz weiter, drückte auf seine Schlüsselbeine und gegen seine Rippen.
    Sein Gesicht flog in etwas Nasses und sein Körper schnellte hinter ihm in die Höhe. Er schrie immer noch, aber jetzt konnte er plötzlich hören. Er drehte sich in der Dunkelheit auf den Rücken und spürte, dass er fiel.
    Er warf seine Arme nach oben und ruderte mit ihnen nach irgendetwas, woran er sich festhalten konnte. Etwas Hartes schlug gegen sein Schienbein und er hörte etwas zuknallen. Seine rechte Hand bekam eine Tür zu fassen und irgendetwas knackte. Mit seiner linken Hand fand er eine weitere Tür, umklammerte ihre Knäufe und rutschte wieder ab. Er hörte eine Tür zuschlagen und fiel wieder. Diesmal aber nur ein paar Zentimeter tief.
    Ein Knall, und er saß auf dem feuchten Boden seines kleinen Dachzimmers, mit dem Rücken am Fußende

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