Fluch der Engel: Roman (German Edition)
nervös – und er hatte auch allen Grund dazu. Wenn ich türmte, würde ihm die Schuld dafür zugeschrieben.
Raffaels Unsicherheit steckte mich an, obwohl ich eigentlich entspannt sein sollte: Dank ihm kannte ich einen verborgenen Fluchtweg und zwei Geheimnisse, die Sanctifers Stellung im Reich der Engel zum Einsturz bringen würden. Unfreiwillige Blutgeber und dämonische Wesen zu beherbergen war bestimmt nicht im Sinne der Dogin. Das Blöde dabei war, dass ich keinen Zeugen hatte und hier festsaß, weil mein Verschwinden Raffael vielleicht das Leben kosten würde. Blieb die Frage, warum er mir diese Geheimnisse verraten hatte. Weil er ein Mensch war und wusste, was es hieß, an einen Engel gebunden zu sein, der ihn nicht liebte? Glaubte er, dass ich ihn vor Sanctifer retten konnte? Oder wofür sonst brauchte Raffael mich?
Meine Gedanken überschlugen sich. Wie geheim waren Sanctifers Machenschaften eigentlich? Was, wenn Raffael mich belogen hatte? Wenn das Blutlager gar keines war? Wenn die Gäste in Sanctifers Keller wirklich nur Gäste waren? Freunde seiner Engelfreunde?
Um sicher zu sein, hätte ich beim Blutraub zusehen müssen – aber das hatte ich nicht. Raffael hatte darauf bestanden, dass ich mir die Räume zu einem Zeitpunkt ansah, zu dem alle schliefen. War das mit den Silbermasken nur ein Trick gewesen, um mein Vertrauen zu gewinnen?
Ich würde es herausfinden. Allein, ohne Raffael – und auch, was Sanctifer sonst noch alles in seinem Keller unter Verschluss hielt. Ich brauchte Beweise, bevor ich Sanctifer vor Gericht zerren konnte.
Auch am nächsten Tag kam Raffael, um mich zum Unterricht abzuholen. Doch heute hatte Sanctifer ihn geschickt. Er wirkte ernst, was meine Nervosität verstärkte. Bei Raffael konnte ich mir wohl niemals sicher sein, wem seine Loyalität in Wirklichkeit galt.Schließlich war er von seinem Ziehvater nicht nur finanziell abhängig. Ich beruhigte mich mit dem Gedanken, dass Aron mich bestens vorbereitet hatte, und versicherte mich mit einem tiefen Atemzug, dass die Nasenkapsel noch an der richtigen Stelle saß.
Sanctifer empfing mich mit einem grimmigen Blick. Ich grinste zurück, was seine miese Laune verstärkte.
»Wie ich gehört habe, bist du gestern verspätet zu deinem Unterricht erschienen. Anscheinend lässt Raffael dir zu viele Freiheiten.« Raffael zuckte nicht mit der Wimper. »Doch ein Racheengel braucht feste Regeln – und eine strenge Hand.«
Sanctifers Drohung schnürte mir die Kehle zu. Wusste er Bescheid? Kam jetzt die Anti-Ohnmachts-Kapsel zum Einsatz? Unfähig, Sanctifer länger anzusehen, starrte ich auf meine Hände. Ich hatte Angst und wusste, dass Sanctifer sie allzu gern gespürt hätte – meine Stirn prickelte, als würde sie in Eiswasser getunkt.
»Ich erwarte, dass meine Anordnungen befolgt werden«, klärte er mich auf.
Ich schwieg. Den gehorsamen Schüler suchte er in mir vergebens.
Mein stummer Protest blieb nicht ungestraft. Der Eisschauer auf meiner Stirn verstärkte sich. Sanctifer testete meinen Widerstand. Aber anstatt herauszufinden, wie lange ich durchhalten konnte, ließ er von mir ab. Doch sein Lächeln danach jagte mir eine eisige Gänsehaut über den Rücken. Die Kälte verstärkte sich, als er Raffael aus der Bibliothek schickte.
Sanctifers zufriedene Miene verriet, wie sehr er meine Hilflosigkeit genoss. Noch verzichtete er darauf, mir das ganze Ausmaß seiner Macht zu demonstrieren. Während er hin und wieder eine kleine Kältewelle über mich hinwegfegen ließ – als Warnung –, referierte er über die Bedeutsamkeit von Regeln: Er wollte, dass ich mich freiwillig fügte.
Nach dem Abendessen lud er mich ein, einen weiteren Blick auf seine babylonische Sammlung zu werfen. Trotz meiner Vorliebe für antike Kunst fiel es mir schwer, Interesse zu heucheln. Die Intensität,mit der Sanctifer versuchte, mich zu manipulieren, war heftig. Die Zeit, den schwächelnden Engelnovizen vorzutäuschen, war vorbei.
»Aron hat dir mehr beigebracht, als ich das in der kurzen Zeit für möglich gehalten hätte. Dennoch bin ich mir sicher, dass ich dich bald wesentlich einprägsamer anleiten kann als er – wir müssen nur noch an deinem Vertrauen arbeiten«, sinnierte er, während ich gegen einen Kältesturm ankämpfte, der rund um meinen Kopf tobte. »Gut, dass uns noch genügend Zeit bleibt, um daran zu arbeiten.«
Wie viel, verriet er nicht. Stattdessen schickte er mich mit einem hungrigen Lächeln, das mich bis in meine
Weitere Kostenlose Bücher