Fluch der Engel: Roman (German Edition)
wollte, kämpfte unerbittlich. Tränen schossen mir in die Augen, als ich meine Engelskräfte zurückzog und auf meine verwundbarste Stelle konzentrierte. Dunkle Traurigkeit überwältigte mich, als würde alles, was ich seit meinem Verrat an Christopher empfunden hatte, über mich hereinbrechen. Was blieb, waren unendliche Leere und das Gefühl, alles verloren zu haben.
Innerlich völlig zerrissen, brach ich meine Suche ab. Ein Teil von mir wollte umkehren und jagen, der andere Teil Philippe retten. Doch ich wusste, dass ich das Richtige tat – im Augenblick jedenfalls.
Mit Raffaels T-Shirt als Geruchskiller vor Mund und Nase atmete ich so flach wie möglich. Der leichte Kiefernduft half mir, mich abzulenken – Christophers Sommergewitterduft wäre besser gewesen.
Wütend auf mich, meine Gedanken, Sanctifer und den Rest der Welt, bohrte ich meine Zähne in das Shirt und kämpfte mich vorwärts. In einem Moment an Christopher zu denken, in dem meine Gefühle drohten, mich zu verraten, war nicht weniger dämlich, als meinem Jagdtrieb nachzugeben.
Dank Raffaels Kartentraining fand ich einen der Lüftungsknoten, der mich zurückbringen würde. Dummerweise endete hier auch ein weiterer Kanal mit dem Duft, der meine Instinkte weckte. Ich rang ihn nieder und kletterte, trotz drängender Flügel und schmerzender Klauen, die Steighilfe hinauf. Ich sollte schon längst bei Raffael sein. Ich machte mir Sorgen um ihn. Sollte Sanctifer jemals erfahren, dass Raffael mir von den lukrativen Geschäften seines Ziehvaters erzählt hatte, würde ihn das mehr als sein Zuhause kosten. Der Schlächter des Rats gehörte nicht zur Sorte der zimperlichen Engel. Und die Vorstellung, Sanctifer würde ihm meinetwegen das Leben nehmen, war unerträglich. Mit einer Vergangenheit als Flüsterer würde Raffael die Prüfung der Totenwächter wohl kaum bestehen – dazu stand er schon zu lange in Sanctifers Diensten. Doch zum Sterben war er noch viel zu jung.
Kurz vor dem Abtauchen in den Brunnenschacht hielt ich an und presste meine Handflächen gegeneinander, um die letzten Spuren des Racheengels in mir zu vertreiben. Meine vor unterdrückter Gier geweiteten Pupillen hätten mich verraten. Und Raffael brauchte nicht zu wissen, dass ich etwas Dämonischem begegnet war. Das wollte ich allein regeln.
Raffael erwartete mich. Der Blick, mit dem er mich fixierte, während ich aus dem Brunnen kletterte, ließ in mir alle Alarmglocken auf einmal schrillen. Ich brachte sie zum Schweigen. Raffael stand auf meiner Seite. Er hatte mir Sanctifers Unterwelt offenbart. Vielleicht konnte er noch die letzten Spuren des Racheengelsbei mir wahrnehmen. Oder fühlen, wie frustriert ich war und dass ich darüber nachdachte, von der Insel zu türmen, um Sanctifers schmutzige Machenschaften aufzudecken, ohne Philippe als Beweisstück mitzubringen.
»Hast du ihn gefunden?«
»Nein«, antwortete ich.
»Und auch sonst nichts?« Er hätte niemanden sagen müssen. Meine unterdrückten Gefühle brachen alle auf einmal hervor.
»Du wusstest, was mich dort unten erwartet, und hast mich nicht davor gewarnt?!«, fuhr ich Raffael an. Noch bevor ich ihn in eine Ecke drängen konnte, packte er meine Arme und hielt mich fest.
»Das Einzige, was ich weiß, ist, dass du – falls du auf dem richtigen Weg geblieben bist – in Sicherheit warst und Sanctifer früher als geplant zurück sein wird, weil die Ratssitzung unterbrochen wurde. Doch bevor du ihm begegnest, solltest du dich noch ein wenig abkühlen – und ein Lächeln aufsetzen«, fügte Raffael leise hinzu, während er mich aus dem Garten zog.
Meine Wut auf Raffael übertrug sich auf Sanctifer. Raffael hatte mir hundert Mal eingebläut, nicht vom Weg abzukommen, weil er wusste, was Racheengel normalerweise jagten.
»Ich werde ihn auffliegen lassen«, zischte ich, während wir durch den Palast liefen.
»Du möchtest fliegen lernen?«, fragte Raffael laut, um die drei Engel abzulenken, die uns in dem breiten Wandelflur entgegenkamen.
»Noch heute«, fuhr ich fort.
Raffael warf mir einen warnenden Blick zu. Er wusste genau, was ich meinte. »Da wirst du warten müssen. Soweit ich weiß, ist er im Moment sehr beschäftigt.«
»Und womit? Mit …«
»Mit privaten Dingen. Und dabei lässt er sich nur ungern stören«, schnitt Raffael mir das Wort ab, während er erschreckend fest meinen Arm umklammerte, um mich zur Vernunft zu bringen.
Ich wand mich aus seinem Griff. Raffaels Augenlid zuckte kaum merklich. Er war
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