Fluch der Engel: Roman (German Edition)
umgab.
Was lag näher, als einen Zugang zu Coelestins Zufluchtsort in den Bergen an den Wächterengel und einstigen Bewohner der Einsiedelei zu knüpfen? Selbst das Schloss der Engel besaß einen Hintereingang.
Mir war klar, dass ich in die Engelswelt zurückkehren musste. Dennoch zögerte ich, den gläsernen Sarg zu berühren. Meine dämonische Seite war mächtig geworden. Auch wenn die Kirche nicht von Engelsmagie umgeben war, die Krypta in der Welt derEngel war es vermutlich. Und obwohl ich wusste, wie ich meine Seele schützen konnte, fürchtete ich mich davor, Christophers Welt zu betreten – weil ich nicht mehr daran glaubte, ein Engel zu sein.
Die Zeit entglitt mir. Doch jede Minute, die ich zögerte, stärkte den dunklen Teil in mir und belebte die Gier, mit der ich Massimos Seele für mich haben wollte. Kein anderer Engel würde mich jemals beherrschen. Selbst Christopher konnte einen Schatten, der wusste, wie er sich schützte, nicht unterwerfen – nur töten.
Vor mir erschien das Bild, wie ich in einem dunklen Keller saß und mich gegen Christophers Zugriff wehrte. Warum fürchtete ich mich plötzlich vor ihm? Er hatte meine Engelseele berührt und mich vor meiner Dunkelheit beschützt. Er hatte nicht gezögert, als er meinen Schatten spürte.
Es kostete mich unendlich viel Mut, meine Flügel zu entfalten. In zartem Rosa und nicht, wie ich befürchtet hatte, in dunklem Schwarz, erschienen meine beiden Schwingen. Mein Wunsch, ein Engel zu sein, hatte mich stark gemacht.
Entschlossen umklammerte ich die Silbermedaillons des Wächterbandes, das Raffael mir gegeben hatte. Ich würde auch den Rest hinbekommen: ein Engel bleiben, Sanctifer besiegen und Christopher zurückgewinnen – falls er mir jemals verzieh.
Noch ehe meine Hand das kalte Glas des Deckels berührte, spürte ich die ungeheure Macht. Tausend blaue Blitze zuckten auf, als ich die Welt der Engel betrat. Wie erwartet, war ich nicht nur durch ein Portal gegangen und in dem Zwillingsraum der Krypta gelandet, sondern von einer mit Engelsmagie errichteten Barriere umgeben: einem Schutz gegen dämonische Wesen, wie ich ihn noch nie zuvor gespürt hatte.
Die Kraft schleuderte mich zu Boden. Ich musste so schnell wie möglich hier raus! Panisch suchte ich nach einem Ausgang und fand ihn hoch über mir: ein nur für Engel erreichbares Loch in der Decke.
Ich riss mich zusammen. Wozu besaß ich Flügel?
Entschlossen versuchte ich, sie zum Schwingen zu bringen.Doch anstatt zu oszillieren, entfachte die Energie meiner Flügel ein dunkles Feuer.
Es riss mich in tausend Stücke, als meine Schwingen in den Flammen aufgingen. In meinen Schrei mischten sich Schmerz, Wut und Verzweiflung.
Mein Körper krampfte. Schmerzwellen rasten durch mich hindurch. Alles in mir rebellierte, der Schatten, meine Engelseite, selbst das bisschen Mensch, das ich noch war. Doch keiner konnte gegen die Macht dieser Energie bestehen – selbst der Engel in mir versagte.
Verzweifelt krümmte ich mich zu einer Kugel, um meinen lodernden Körper zusammenzuhalten – wie gerne hätte ich mich jetzt in eine Ohnmacht geflüchtet. Doch ich musste es bis zum Ende durchstehen. Aber das war mehr, als ich ertragen konnte.
Dem Schmerz schutzlos ausgeliefert, schrie ich mich an den Rand der Besinnungslosigkeit, ohne Erlösung zu finden. Ich war verloren, hatte dem Dämon in mir zu viel Macht eingeräumt. Nicht nur meine Flügel, auch meine Seele brannte.
Zu sterben war die einzige Rettung. Flügel besaß ich längst keine mehr. Das Feuer hatte sie aufgezehrt. Inzwischen war es erloschen und hatte eisige Kälte zurückgelassen. Nur ein kleiner Rest Engelsmagie war mir geblieben. Er genügte, um meine Seele am Leben zu halten und die Qual ins Unendliche zu steigern. Doch ich schaffte es nicht, sie auszulöschen und mir meine Klauen ins Herz zu stoßen.
Die Zeit verschwamm. Ich hatte längst aufgegeben, nur meine Engelseele wehrte sich noch gegen die Kälte und die Endgültigkeit. Sie war der stärkste Teil in mir. Wie seltsam, das erst jetzt zu erkennen, wo es zu spät war.
Irisierende Flügel schwebten über mir. Ein letzter Traum meiner sterbenden Seele. Christopher stand vor mir. In seiner überwältigenden Engelsgestalt füllte er die Krypta mit lebenspendender Wärme. Ich wünschte mir ein letztes Lächeln, doch seine Miene blieb hart und verschlossen. Er war nicht hier, um mich zu trösten,er war gekommen, um mich zu richten. Mein dämonisches Wesen hatte ihn zu mir geführt.
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